Vor gefühlten 300 Katzenjahren sah ich einst einen Werbespot, als ich um die Sofaecke kam. Ich schaute damals von dem einen Deutschland ins andere. Ein Geschäft wurde von einer Frau, wahrscheinlich der Besitzerin, voller Hingabe geöffnet. Die Dame kam voll im Einklang mit der Welt heraus und wischte ein goldenes Metallschild neben der Tür mit einem Lappen ab. Stolz auf ihr Werk ging sie voller Selbstzufriedenheit wieder hinein. Ich war völlig schockiert. Sicher werden alle, die sich an diesen Werbespot erinnern, und das sind bestimmt viele, wie konnte man das nur vergessen, sofort wissen warum. Ich sag’s trotzdem: Sie hatte eine Ecke von dem goldenen Schild mit dem Lappen nicht erfasst. Für mich stellte das in diesem Augenblick die Grundfesten der Welt in Frage. Weniger, weil eine so erfolgreiche gewissenhafte Frau halbe Sachen macht. Nein, sondern weil sie das überhaupt macht. Immerhin hat man nach dem Wischen den Unterschied nicht gesehen, wo gewischt wurde und wo nicht. Und das sowas im Fernsehen gezeigt wurde, bei einem Spot, den man bei Nichtgelingen einfach nochmal dreht, stellte mich vor noch mehr Rätsel. Wäre es eine Doku gewesen, wo die Frau halt mal versehentlich mal nicht ganz bei der Sache war, könnte ich das ja noch verstehen. Die Menschen sind schließlich alle irgendwie menschlich. Sollte es heißen: Bei uns ist alles schon perfekt, schließlich machen wir das alles nach Prozeduren, auch wenn es gar nicht nötig erscheint?
Erstmal fragte ich mich: Wie kommt es, dass man den Unterschied nicht sieht? Es war nur ein Werbespot, doch im wahren Leben ist es doch auch so. Man muss oft genau hinschauen, um den Unterschied nach einer Handlung zu sehen. In dem Fall war die Staubschicht noch unsichtbar. Als ich zur Armee kam, ja die Katzen haben das auch, dachte ich, der Schrank ist aufgeräumt. Oder das Zimmer ist sauber. Der Spieß war da ganz anderer Meinung, der hat eben genauer hingesehen. Wenn ich mich mal nicht so ganz an die Verhaltensregeln beim Mäusefangen halte, passiert da was? Nö, wer braucht sowas schon. Bis dann zwei Katzen zur selben Maus springen und eine Gehirnerschütterung bekommen weil sie zusammenknallen. Das passiert nie? Oder wird das nur von der Statistik nicht erfasst.
Wenn’s knallt liegt es fast immer am Gleichzeitigkeitsfaktor.
Nehmen wir an, unsere geschäftstüchtige Frau steht gerade von ihrer täglichen Abrechnung auf, öffnet das Fenster und will das Büro lüften und in der Stube Zeitung lesen. In dem Moment klingelt das Telefon. Sie geht noch schnell dran. Nun handelt es sich dummerweise um ein längeres Telefongespräch und die Frau hofft immer, es ist bald zu Ende, und kann sich deshalb nicht entschließen, das Fenster wieder zu zumachen. Dummerweise war das Schnurlose noch nicht erfunden und sie hängt an der Strippe. Nun steht sie 25 Minuten im Luftzug. Sie bekommt eine handfeste Erkältung und möchte natürlich ihre Kunden nicht anstecken. Das beginnt am Türgriff. Ich möchte jetzt nicht ausführlich werden und die Maßnahmen der Dame weiter erörtern. Doch das Ergebnis des Ganzen ist: Das goldene Schild wird nicht mehr abgewischt. Irgendwann wird die Staubschicht so dick, dass man sie sehen kann. Nun kommt es darauf an: Hat sie jedes Mal dieselbe Ecke ausgelassen oder war das Zufall. Man weiß es nicht wirklich. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen war sie gedanklich mehr in ihren Geschäftsvisionen und die Tätigkeit war die reine Routine. Das könnte daraufhin deuten, dass sie die Ecke regelmäßig ausgelassen hat. Dann würde sich dort ein Vorsprung in der Staubschicht gebildet haben und diese dort zuerst sichtbar werden. An der Schärfe des Übergangs ließe sich erkennen, wie stark die Gewohnheit ausgeprägt ist. Möglicherweise würde eine gleichmäßige Staubschicht sogar weniger stören als eine halb weggewischte, da man sie erst durch den Unterschied bewusst zur Kenntnis nimmt.
Halten wir fest: Es gibt einen Bereich im Grad der Sauberkeit, der nicht wahrnehmbar aber sehr wohl vorhanden ist. Ich nenne ihn mal Sicherheitspolster. Dieses bewirkt ein zeitliches Sicherheitspolster. Solange dieses nicht überschritten ist, wird man beim Vorbeigehen nicht erkennen, dass die Chefin krank ist. Durch inhomogenes Abwischen ist das Sicherheitspolster an bestimmten Bereichen eher verbraucht.
Welchem Zweck dient nun das Sicherheitspolster bei der Armee in Sachen Ordnung und Sauberkeit? Ein hohes Maß an Ordnung erhöht natürlich die Gefechtsbereitschaft, da Sucherei, möglicherweise ja auch im Dunkeln, wegfällt. Man ist schneller am Kämpfen. Die Sauberkeit hat einen psychologischen Effekt: Schlamperei hat hier nichts zu suchen. Die Gefechtsbereitschaft wird also erst eingeschränkt, wenn so viel Unordnung eingetreten ist, dass man Zeit mit Suchen verliert. Bis dahin hat man ein Zeitpolster ab der absoluten Spießordnung. Einmal sein Sturmgepäck suchen kann möglicherweise eine Niederlage nicht verhindern, aber zusammen mit anderen Bereichen, die auch gerade aus der Sicherheitszone raus sind, wird Kampfkraft verloren.
Und nun nochmal die Katzenregeln, die ja jeder kennt. Ach, vielleicht ja doch nicht jeder Mensch. Nunja. Es steht ja nicht nur drin, dass die Katze die Maus zuerst anspringen darf, die sich weiter hinter ihr (höhere Fangchancen) oder weiter links von ihr befindet, wenn sie gleich weit hinten sind. Das Links wurde übrigens mal festgelegt, weil man glaubte, die Maus hätte links das Gefühlsauge und die Reaktionen auf mit diesem Auge wahrgenommene Ereignisse sind etwas verlangsamt. Das konnte zwar wissenschaftlich nicht belegt werden, aber für eine Seite musste man sich ja entscheiden, und warum dann nicht dabei bleiben. Aber das nur als Insiderinfo am Rande. Es gibt ja auch eine Regel, Mäuse, die sich leichtsinnig verhalten und leicht zu fangen sind, nicht zu essen. Dabei wurde auf Krankheiten hingedeutet. Aber was hat es eigentlich damit auf sich? Klar, Schaum vorm Maul, Tollwut, muss man nicht haben. Aber um welche mysteriöse Krankheit ging es denn bei diesen sich seltsam verhaltenden Mäusen? Diese Krankheit nicht zu haben ist auch eine Sicherheitszone, da sie das Verhalten ändert. Ihr Name ist Toxoplasmose. Die Erreger fühlen sich bei uns Katzen nun mal am wohlsten und wollen uns unter allen Umständen erreichen. Dafür haben sie sich eine Strategie einfallen lassen. Sie befallen irgendwie Mäuse und hoffen, dass wir sie dann fressen. Sie beeinflussen tatsächlich das Gehirn der Mäuse dahingehend, dass diese leichtsinnig werden, unseren Urin nicht mehr abstoßend finden und umherlaufen, damit wir sie leicht fangen können. Das bedeutet also, der Erreger macht den/die Wirt/in risikofreudiger. Das kann ja sogar von Vorteil sein, wenn die Maus sich frech am helllichten Tag an menschliche Vorräte ranmacht. Letztendlich führt Toxoplasmose aber meist zu ihrem Untergang, da manche Katzen sich einfach nicht unter Kontrolle haben. Und wenn sie den Erreger dann selbst schon haben, spielt es eh keine Rolle mehr. Übrigens sind auch die Menschen davon betroffen. Besonders viele Manager und Leute in der Finanzbranche haben Toxoplasmose, wurde festgestellt. Zum Beispiel gehen sie dann das Risiko ein, dort zu sparen, wo eben nur vielleicht was passiert und bringen diese Bereiche aus der Sicherheitszone. Ein Schuldiger findet sich ja leicht. Wenn Geld für vorbeugende Wartung zurückgehalten und an Personal gespart wird, erhöht sich das Risiko eines ungeplanten Ereignisses. Die Kosten übersteigen dann das Eingesparte um ein Vielfaches. Wir Katzen wollen nun nicht denselben Fehler machen und unsere Art erhalten.
Also Fazit: Umso weiter man sich in der Sicherheitszone befindet, desto mehr ungeplante Ereignisse, oder in unserem Fall Krankheitstage, können auftreten, bis man aus ihr herauskommt.
Das Dumme an der Sache ist nur, dass dieser Bereich eben eigentlich unsichtbar ist und es daher keinerlei oder nur mit Mikroskop erkennbare Anzeichen gibt, wo man sich gerade befindet. Das Schild ist so oder so sauber, egal ob es vor drei Tagen oder gestern abgewischt wurde. Ich finde mein Sturmgepäck auch, wenn der Pullover nicht auf Kante liegt. Es muss also nervende abstumpfende Prozeduren geben, die man tut, und wo man hinterher glaubt, alles ist bestens. Und gerade hier liegt die Gefahr: Man glaubt, man hat etwas gut gemacht und wiegt sich in Sicherheit. Dabei ist man kurz davor, die Sicherheitszone zu verlassen. Man gibt extra viel Geld für einen neuen VW Passat aus, weil der ja so einen guten Ruf hat. Deutsches Markenprodukt. Man geht extra in eine teure VW- Werkstatt für all die vielen Durchsichten. Man kauft extra das teure Motoröl, weil ja alle Tausend Kilometer ein Liter verschwindet. Und dann, nach 115000 km ist der Motor Schrott. Aber VW ist ja eine tolle Firma, die werden Kulanz zeigen. Ja, sie geben noch 2000€ wenn man denselben Fehler nochmal macht und wieder einen VW kauft. Durch eigene Unfähigkeit viel Geld verdienen ist erstmal eine clevere Strategie. In dem Fall haben sie allerdings einen bis dahin treuen Kunden verloren. Man hat immer gedacht, man ist tief in der Sicherheitszone, dabei war man nie überhaupt nur drin.
Da öffnet nun ein anderes Geschäft mit einem ähnlichen Angebot eine Straße weiter und ist in allem gleich gut wie unsere fleißige Chefin. Die Kundschaft sieht nun das schöne saubere blinkende Schild, während bei unserer Heldin eine Ecke verstaubt ist. Wie wird sie sich entscheiden? Unsere Chefin war immer der Meinung, das Schild ist perfekt sauber, da sie es ja jeden Tag putzt. Sie hat sich in falscher Sicherheit gewogen. Zumindest was die Sauberkeit des Schildes anging. Bei der Kaufentscheidung ihrer Kunden war sie natürlich noch weit in ihrer Sicherheitszone, das Schild hatte da keinen Einfluss.
Also, es hätte gereicht, wenn sie einmal die Woche mit dem Lappen drüber geht und ich verstehe den Werbespot immer noch nicht. Vielleicht gibt ja mal jemand eine Meinung dazu ab, Potenzial dafür ist ja im Übermaß vorhanden.