Strukturen

Wie Strukturen unser Leben beeinflussen
Technische Struktur zur Erzeugung von Harmonien

Was können Fotos, Papierkunstwerke und Kupferplastiken gemeinsam haben, außer dass sie vielleicht alle Kunst sind?

Gehen wir nach Braunsdorf in die Historische Schauweberei, da kann man die Lösung finden.

Historische Weberei Tannenhauer
Historische Schauweberei Braunsdorf

Die Kuratorin (und selbst Künstlerin) Simone Mende hat drei entsprechende Kunstschaffende zusammengeholt, die dann gemeinsam hier eine Ausstellung gestaltet haben.

Vorstellung

Da wäre Anke Kirbach mit drei Kupferplastiken. Sie sind relativ groß und benötigen schon einen stabilen Fuß. Betritt man den Raum, fallen sie einem sofort ins Auge. Das glänzende Metall ist auffällig und wirkt massiv, obwohl das Blech nur einen Millimeter stark ist. Das auf den Dächern allerdings nur 0,7, wie sie mir versicherte. Das Kupferblech wurde mit viel körperlicher Arbeit in die dritte Dimension getrieben. Nach oben werden die Plastiken ausladender, was an eine Pflanze erinnert. Dadurch entsteht ein positiver optimistischer Gesamteindruck und die Plastik wirkt in ihrer Form so gar nicht mehr massiv.

Anke Kirbach Wachstum I

Die beiden Plastiken „Wachstum“ I und II sind sich ähnlich und erinnern stark an das Blatt eines Ginkgo Baumes. Der hat schon Goethe in Weimar fasziniert. Die eine ist geradliniger, schlichter und will irgendwie gefallen, während die andere auf eigenen Beinen zu stehen scheint, sich dreist schief offenbart und dadurch irgendwie selbstbewusster wirkt. Beide haben eine Rinne wie zum Sammeln und Ableiten von Wasser, um es sich zu nutze zu machen.

Anke Kirbach: „aufnehmend“

Ihre dritte Plastik „aufnehmend“ hat das Thema ebenfalls aufgegriffen. Allerdings wurde sie mit einem Foto mit Wollfäden kombiniert, sozusagen ein Tribut an die früher allgegenwärtige Produktion von Stoffen, die hier eine Art Lebensgrundlage ähnlich dem Wasser waren.

Anke Kirbach war die letzte Schülerin von Günter Mancke in Weißenseifen. Sie hat gelernt, dass man das Blech lieber vor dem Bearbeiten mal ordentlich glüht, um die inneren Spannungen abzubauen. Dadurch verformt es sich leichter.

Sibylle Nestrasil Anke Kirbach

Sibylle Nestrasil wiederum benutzt ein in vieler Hinsicht gegensätzliches Material, das Papier. Hat man einmal das Papier in dem Zustand, dass man es plastisch bearbeiten kann, ist die Zeit begrenzt. Sie bildet die verschiedensten Formen, abgeschaut bei Natur, Mathematik und Industrie. Die Farben sind bei ihr eher unspektakulär, eigentlich nur weiß und ein paar Grautöne.

Werke Sibylle Nestrasil

Es gibt immer kleine Fältchen auf der Oberfläche, was den Werken einen filigranen Charakter verleiht. Sie selbst sagt, dass für sie der Raum, den sie gestaltet, sehr wichtig ist. So hat sie etliche ihrer Werke speziell für diesen Raum geschaffen. Es gibt z.B. Rohrbögen, die an die im Haus befindliche Produktionsstätte erinnern.

Sibylle Nestrasil: Kokon 3

Etliche Werke von ihr sind auch im Nebenraum, ich fürchte von einigen gar nicht zur Kenntnis genommen. Dabei ergab sich auch schon mal eine Funktion als Beleuchtungskörper.

Werk von Sibylle Nestrasil

Sehr gelungen fand ich die Kombination der gegensätzlichen Materialien Kupfer und Papier an einer Wand, die zusammen im Ganzen wiederum eine sehr lebendige Struktur bilden.

Sibylle Nestrasil Kokon1 und Kokon2 Anke Kirbach Wachstum II

Die Fotos von Wolfgang Dittbrenner wiederum sind naturgemäß zweidimensional. Um sie aufnehmen zu können muss man keine spektakulären Reisen machen. Die Motive sind um uns herum. Er findet sie beim Radfahren und Wandern. Was alle gemeinsam haben sind die sich wiederholenden Elemente, die dann ein Muster ergeben.

Fotos von Wolfgang Dittbrenner

Die Anordnung der Bilder in der Ausstellung ergibt wiederum eine Struktur, sozusagen selbstähnlich…

Die Leiterin des Museums, Cornelia Hilsberg (ebenfalls Künstlerin), sowie die Kuratorin sind beide eng mit der Weberei und speziell diesem Gebäude verbunden, und so findet die Ausstellung nicht ohne Grund gerade hier statt. Bei der Vernissage führte Frau Hilsberg Gespräche mit den Künstlern und es gab eine musikalische Begleitung der besonderen Form.

Das alles Verbindende hier ist im Namen der Veranstaltung zusammengefasst: Strukturen.

Vorn: Wolfgang Dittbrenner, Anke Kirbach, Sibylle Nestrasil, Cornelia Hilsberg Hinten: Allein zu zweit Hansi Hengst, Maschinikus Uwe Kempe

Insgesamt fand ich etliche Parallelen zu einer Ausstellung in der Talstraße in Halle. Auch hier wurde mit Metall und Papier gearbeitet, es gab Bilder und auch Maschinen. Und doch war die Kernaussage eine andere.

Strukturen-überall!

Wir hatten das Glück, dank Cornelia Hilsberg einen Webstuhl in Aktion sehen zu dürfen und eine Einführung in dessen Funktionsweise zu bekommen.

Jacquard – Webstuhl

Eine Unzahl Fäden über den Webstühlen wirkte zuerst verwirrend. Wir lernten, dass diese Fäden nicht verwebt wurden sondern die eigentlichen 7500 Webfäden (Kettfäden) verschiedener Farben mit Hilfe von Lochscheiben nach oben oder unten bewegten, je nachdem ob da ein Loch oder kein Loch in der Scheibe war. Eine Erfindung von Joseph-Marie-Jacquard, deren Exemplare dann auch schon mal Weberaufständen zum Opfer fielen.

Lochscheiben- Speicherplatten für Webmuster

Nach jedem Schuss mit dem Querfaden gibt es eine neue Konstellation entsprechend der Löcher in den Lochscheiben, so dass im gewebten Stoff ein Muster bzw. eine Struktur entsteht.

Webmuster

Warum machen die Webstühle denn Muster? Weil wir sie lieben. Wir freuen uns wenn wir sie sehen, oder vielmehr wenn wir sie erkennen. Denn das ist es eigentlich, was wir ständig tun, von frühester Kindheit an. Wir sehen einen Menschen, wie er bestimmte Dinge auf seine Art tut. Daraus erkennen wir ein Verhaltensmuster und bilden Rückschlüsse auf den Charakter. Man kann dann bestimmte Voraussagen über den Menschen treffen. Zum Beispiel kann meine Frau mit Bestimmtheit voraussagen, dass nach von mir vollzogenem Aufräumen der Küche immer irgendwelche Mängel sind.

Sie hat sozusagen eine abstrakte Lochscheibe für meine Verhaltensstruktur entwickelt. Die Umstände können völlig unterschiedlich sein, die Lochscheibe funktioniert trotzdem.

Aber wie funktioniert denn das? Ganz einfach. Durch Wiederholungen. Wir beobachten unbewusst alle Vorgänge um uns herum und nehmen wahr, wenn sich Sachen wiederholen. Diese Wiederholungen ergeben ein Muster. Die Muster ermöglichen bestimmte Voraussagen, deshalb sind sie so wichtig. Am Samstag Morgen ein bestimmter Mensch in der Küche führt bei der Katze zu der Voraussage eines gefüllten Fressnapfes. Selbst künstliche Intelligenz wird auf diese Weise angelernt. Muster sind natürlich auch wichtig, um Abweichungen vom Normalen zu erkennen. Man hört, wenn ein Motor komisch klingt, und dass da wahrscheinlich was kaputt ist.

Hört man ständig sehr einseitig interpretierte Nachrichten und stellt fest, dass andere Interpretationen sofort als falsch zurückgewiesen werden, obwohl die Faktenlage das gar nicht hergibt, erkennt man auch ein Muster und macht sich eine spezielle Meinung zu solchen Informationen. Das nennt sich dann Medienkompetenz. Es können leicht Muster und Denkstrukturen, die man sich vor über 40 Jahren angeeignet hat, heute wieder zur Anwendung kommen.

Obwohl an dem Baum jedes Blatt anders ist, erkennen wir sofort die Struktur des Ahornblattes. Das Muster ist das selbe. An den Strukturen der Kupferplastiken ist jeder Hammerschlag anders. Trotzdem ergeben sich eindeutige Strukturen. Jede Papierfalte ist unterschiedlich, wir erkennen aber die Struktur, die daraus entstanden ist.

Werk von Sibylle Nestrasil

Jedes Element für sich ist anders, trotzdem ergibt sich immer die wieder erkennbare Struktur.

Fotos von Wolfgang Dittbrenner

Auch die Geräusche der Webstühle bilden ein Muster. Jedes Ding, was ein Geräusch macht ist ein Element davon, sozusagen ein Baustein. Ein Fachmann hört sicherlich daran, wenn was nicht richtig läuft. Nun kann man diese Elemente aber auch als Legobausteine betrachten und was ganz neues draus machen, neue Muster.

Allein zu zweit Hansi Hengst, Maschinikus Uwe Kempe

Und da kommen wir zu einem weiteren Aspekt von Strukturen, der allerdings nur zur Vernissage hier so zu erleben war. Maschinikus Uwe Kempe, der sich eher Tontechniker als Musiker nennt, und Allein zu zweit Hansi Hengst haben eine sehr ungewöhnliche Performance geboten. Dazu wurden in verschiedenen Webereien Geräusche aus den verschiedensten Winkeln aufgenommen, zerlegt und dann wieder neu zusammengefügt, also als Musik dargeboten. Es gibt also eine neue Klangstruktur, die dann noch mit Mundharmonika oder Gitarre kombiniert wurde. Ein wirklich beeindruckendes Ergebnis.

Synthesizer-Struktur

Betrachtet man sich nun die Technik, zum Beispiel die Anordnung der Synthesizer, ergibt sich auch hier wiederum eine Struktur. Faszinierend.

Was ich also letztendlich hier mitnehmen konnte, ist die Erkenntnis, dass es sinnvoll ist, sich zu strukturieren. Dann erlebt man keine bösen Überraschungen. Oder aber, man lässt es ganz einfach mal bleiben.

Schmierplan

Thomas Beyer für die KulturSpalte, April 2023