Da träumt man von einem alten englischen Landsitz mit wunderschönen englischen Garten. Alte englische Rosen ranken in typisch englischer Weise um romantische Pavillons und Durchgänge. In ihrer Nähe schillert ein kleiner Teich im Sonnenlicht und rundherum wunderbares sattes englisches grün….. und was bekommt man: Dunkles Blau auf Stufen und Hintergrund im düsterem Ambiente. Nagut, also wird das hier wohl kein romantisches englisches Pilchermärchen. Es kommen zwar auch noble englische Haushälterin plus Gouvernante drin vor, aber irgendwie scheinen die mehr zum okkulten zu tendieren. Puppe, Schlagstock, Kreuz, Portrait und diverse andere Utensilien hängen zur späteren Benutzung von der Decke und im Hintergrund säuseln unheimlich verzerrte Stimmen und Töne von den Wänden in den Zuschauersaal des Alten Theaters Dessau.
Das wird also die erste vollwertige Inszenierung von Jana Eimer, der einstigen (?) Regieassistentin des Generalintendanten das Anhaltischen Theaters Johannes Felsensteins.
Also „blau“ und das nicht mit der Interpretation der „Treue“ sondern der Interpretation Kandinskys* nach Unendlichem und Übersinnlichem oder noch phantasiervoller die Interpretation von Goethe*, und da muss man nicht mit ihm einer Meinung sein, das Blau immer etwas Dunkles mit sich führe, so wie Kälte und Schatten. Ok, vergessen wir jetzt einfach mal den blauen, sonnigen Himmel an einem schönen Frühlings- oder Sommertag oder das wunderbare blaue Meer in dem man zu gern eintauchen und sich darin sorglos wohlfühlen wolle. Denken wir jetzt mal mehr an das trostlose graublau eines verregneten Winters oder das tiefe schwarzblau einer unheimlichen mondlosen Nacht und passen uns der Phantasie der Regisseurin an. Drehen wir also die Schraube bis zum bitteren Ende – mit einer Pause.
Also letztendlich eine gute Idee alles in tiefes blau zu tünchen und Licht nur noch für den Notausgang durchzulassen. Passend dazu sogar die Einrichtung des neuen „Alten Theaters“ mit blauen Stühlen und dunkelblauen Wänden im Aufführungssaal, was Jana Eimer somit hervorragend für sich und Ihre Ideen ausnutzte.
Das „Alte Theater“, einst ein prachtvolles Gebäude brannte leider 1926 durch einen Heizungsdefekt bis auf seine Grundmauern nieder**, wurde 1926 wieder aufgebaut und 1944 zum zweiten Male vernichtet. Den Rest tat die DDR Geschichte 1966, die aber das im Wesentlichen erhaltene Hintergebäude nicht grundlos niederreißen konnte und somit als Kulturhaus des Dessauer Energieversorgungsbetriebes umfunktionierte. Somit sollten wir da jetzt noch ein im 1926er Stil von Herrn Architekten Kurt Elster erbautes und im September 2008 fertiggestelltes neu restauriertes, erhaltenes Hintergebäude haben. Der Bauhauseinfluss ist nicht zu übersehen, was auch gut ist, denn es passt in das bauhausgeprägte Stadtbild Dessaus. Warum es allerdings Diskussionen um die Restaurierung eines zweiten Theaters für Dessau gab, ist für mich unverständlich. Dieses Theater ist komplett anders als das Haupthaus und somit bietet es auch komplett andere Möglichkeiten für künstlerische Verwirklichung und Bildung. Zum Beispiel kann ich mir nicht vorstellen, dass „Kafka. Amerika“ im Haupthaus die selbe Atmosphäre schaffen würde, wie in den modernen Hallen des Alten Theaters. Dieses Theater passt schon wegen seinem Baushaus Stils wunderbar in die Zeit der 20er, 30er Jahre und überträgt somit auch das Feeling dieser Zeit, was wieder sehr passend zum Dessauer Stil ist. Dessau hat wegen der großen Zerstörung im zweiten Weltkrieg und der nachfolgenden DDR Ära schon wenig Möglichkeiten, aus sich etwas zu machen. Da bleibt nur der Ausbau der Kunst-/ Kultur- und Technikmoderne und DAS hat mit dem Bauhaus und Junkers sehr großes Potential und sollte unbedingt genutzt werden. Unglaublich, was die Zeit der Weimarer Republik in Dessau bewirkte, der Aufbruch pur war hier zu spüren. Ich würde viel eher verstehen, dass es Diskussionen gab einen zweiten Einkaufstempel für Dessau zu errichten. Er mag zwar hübsch ins Stadtbild passen, da sicherlich auch einem ganzheitlichen Projekt der Stadtplanung angegliedert, aber wie viel Kaufkraft muss jeder einzelne Dessauer aufbringen um beide Tempel anzubeten? Und welcher intellektuelle Bauhausbesucher interessiert sich für Einkaufstempel? Welchen Touristen wollen sie da anlocken, wo solche Tempel doch überall und überall gleichermaßen aus dem Boden schießen, eigentlich schon große Abscheu auf stressiges Einkaufsverhalten mit Vollbeschallung in einem wecken. Da ärgern einen nur solche Prospekte über „Wo finden sie was“, die im Dessauer Steigenberger Hotel ausliegen und die einen nur sämtliche Geschäfte in der stadtmittigen Einkaufsszene aufzählen, wo man sich doch eigentlich erhofft hat, dort drin zu finden, was Dessau und Roßlau Ungewöhnliches zu bieten hat. Einkaufspaläste hat jeder. Das ist kein individuelles Stadtbild sondern nur dummer und langweiliger Kommerz. Aber gut, es gibt auch Leute, die dummen, langweiligen Kommerz mögen. Vielleicht pilgert ja dann einer auch hin und wieder deshalb nach Dessau.
Theater jedenfalls prägen eine Stadt und deren Charakter und Dessau hat Charakter. Welcher Ort hat schon ein Kurt-Weill Fest zu bieten? Händel, Bach, Fasch und Telemann gibt es überall und immer öfter, aber wo gibt es Kurt Weill? DAS ist Individualität, DAS ist einen Besuch wert, weil man DAS sonst nirgends anderswo zu sehen und zu hören bekommt. UND genauso ist es Wert sich das „Alte Theater“ in Dessau anzusehen, das moderne Bauhausfeeling in sich aufzusaugen und sich dort moderne Stücke und sicherlich jetzt auch öfter Kammeropern anzusehen.
„The Turn of The Screw“ ist eigentlich eine vollwertige Oper von Benjamin Britten, nur war es im Saal des Alten Theaters wohl etwas eng, so dass sie mit einer minimalen Orchesterbesetzung bestückt ward. Markus L. Frank passte sich dem aber hervorragend an, was sicherlich nicht einfach war, denn der Raum vertrug keine zu lauten Töne. Für die Sänger war es ähnlich schwer und eigentlich so gut wie unmöglich sich stimmlich zurückzunehmen. Solch grandioser Ausdruck verlangt auch grandiose Stimmen, welche alle Akteure mit Bravour bewiesen. Nur war das hin und wieder (so in Reihe 6) einfach zu laut. Interessant und überaus beachtenswert war allerdings der Eindruck, den man von den Sängern gewann und den man normalerweise in herkömmlichen Opernhäusern keineswegs so deutlich mitbekommt. Unglaublich wie klar und laut und trotzdem mit welcher stimmlichen Qualität die Sänger ihre Rollen interpretierten. Hier bekam ich zum ersten mal sehr nah mit, was es bedeutet eine ausgebildete Stimme zu besitzen. Es ist einfach brillant und wer sich dafür interessiert und das mal ganz nah erleben möchte, sollte sich unbedingt diese Oper ansehen, denn im Opernhaus kommt das bei weitem nicht so herüber. Was auch völlig klar ist, denn eigentlich sind die perfekten Stimmen für Opernsäle geschaffen und trainiert, wo sie selbstverständlich ohne Mikrofon auskommen und bis in die letzte Zuschauerreihe verstanden werden müssen.
Die hervorragend trainierten Stimmen waren in unserem Fall Cornelia Marschall als Gouvernante, Sabine Noack als Mrs. Grose, Marian Albert als Quint und Allison Oakes als Miss Jessel.
Also für kleines Theater nicht wirklich optimal, aber um so etwas mal von Nahem zu erleben, perfekt.
Genauso interessant sind die verschiedenen Ansätze***, die „Das Durchdrehen der Schraube“ so mit sich bringt. Die einen sagen, das ist alles nur eine Geistergeschichte, die anderen deuten tiefe psychologische und sogar freudsche Sichtweisen in das von Henry James 1898 niedergeschriebene Geschehen hinein und wiederum andere sagen, es ist alles beides, was allerdings erst in den 70er Jahren so akzeptiert wurde. Es ist unglaublich, wie viele Literaturwissenschaftler sich mit diesem Buch beschäftigten und wie viele Abhandlungen darüber in die Interpretationswelt gesetzt wurden. Es ist immer wieder beeindruckend für mich, was man so alles in ein Buch hineindichten kann. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass dieses Stück so viele unergründliche Tiefgründe besitzt. Ich persönlich hätte ja eher gedacht, dass das eine alte englische Geistergeschichte ist – Engländer lieben so etwas – aber vielleicht könnte man noch eine vierte Strömung eininterpretieren, vielleicht ist es ja eine Parodie auf die geisterverliebten Engländer? Vielleicht hat das den Amerikaner James, dessen Wahlheimat 1857 England wurde, geisterhaft inspiriert. Wahrscheinlich aber würden mich alle Literaturwissenschaftler, besonders die Englischen, dafür schlagen, denn Herr James ist sehr beliebt in diesen Breiten. Aber nichtsdestotrotz kommt einem die Handlung der Oper schon etwas flach und einfallslos vor. Vielleicht ist dies aber auch dem Libretto von Myfanwy Piper geschuldet. Allerdings denke ich auch, dass die amerikanischen Autoren dieser Zeit einen besonderen und für mich immer oberflächlicheren Stil pflegten. Dafür mögen sie mich jetzt auch schlagen, aber das ist meine Meinung. Vergleiche man nur mal Albee oder Williams, die ich eigentlich sehr schätze, mit Kafka, Brecht oder Kästner – nein, nicht vergleichbar. Es sind zwei völlig verschiedene Kulturen.
Und in diese Albee- und Williamszeit schreibt Piper ihr Libretto hinein, also völlig klar, dass es einen ähnlichen Anstrich bekommt, obwohl Frau Piper eigentlich Londonerin ist. Nur by the way, aber interessant ist, dass sie sich ebenfalls mit unserem alten Bauhausfreund Kandinsky beschäftigte**** – na da ist die Welt doch ein Dessausches Dorf.
Die Kinder spielen in dieser Psycho-Geistergeschichte natürlich die wichtigste Rolle und Hannah Fricke als Flora sowie Florian Ott als Miles hervorragend. Die Mimik der beiden war einzigartig und nahezu perfekt. Die Umsetzung der einzelnen Szenen sehr gut. Alles kam mir ein bisschen so vor wie in einem Psychothriller, die Musik im Hintergrund, das Spielen der Kinder im Hintergrund und ihre düsteren Blicke. Eine gut gelungene Stelle, fand ich, war die als Flora der Puppe den Stock in die Brust drehte, was wieder gut zu dem Schiff und dem Mast in der Originalnovelle passte, und sicherlich auch das selbe darstellen sollte. Irgendjemand Schlaues meinte, dass das wohl der Bezug zum Titel sein könnte. „Das Überdrehen der Schraube“ – ok. Warum sollte das Kind nicht einen Mast in sein Schiff drehen? Aber gut, einen Mast in eine Puppe zu drehen ist schon etwas sonderbar und skurril. Wahrscheinlich haben alle Literaturwissenschaftler krampfhaft versucht, irgendwie den Titel zum Stück zu interpretieren und nichts anderes gefunden, vielleicht nur noch solche platten Erklärungen, dass sich das Stück halt bis zum Schluss zuspitzt und dann eskaliert und eben somit sozusagen sich wie eine Schraube langsam hineindreht und dann letztendlich überdreht wird. Aber solche platten Erklärungen zu solch einem geschichtsträchtigem Stück sind natürlich nicht tragbar.
Eine weitere gute Szene, meiner Meinung nach, war die, als Miles in seinem Zimmer schlief und vorher mit einem weißen Kissen unter dem Arm auf der Bühne erschien. Ein sehr schöner Kontrast, den Jana Eimer des öfteren in dieser Inszenierung benutzte.
Es verlangte sicherlich viel Phantasie, die verschiedenen Räume und Szenen auf dieser einfachen blauen Bühne verständlich darzustellen und dem größtenteils unwissenden Zuschauer zu suggerieren um was es ging, was aber Jana Eimer nicht nur durch das geschickte lenken der Darsteller dem Zuschauer hervorragend zu erklären verstand.
Immer mehr und mehr erlangten die Kinder die Oberhand über das Geschehen, was ebenfalls sehr gut durch deren Darstellung und Mimik interpretiert wurde.
Genauso gut passten die eigentlich eher antiquierten Kostüme (Stefan Rieckhoff) zur Bühne. Vielleicht würden sie noch besser zu meiner Phantasie eines englischen Landsitzes passen, aber genau an dieses Bild erinnerten sie einen auch immer wieder –>blaue, karge, moderne Bühne mit zu dem in Kontrast stehenden altenglisch angedeuteten Kleidern – warum nicht. Der Kontrast ist da schon wieder so groß, dass man meinen könnte, es passt zusammen. Farblich, auf alle Fälle, gliederten sie sich harmonisch in das blaue Geschehen ein.
Nicht ganz so gut gefiel mir der Einstieg zum zweiten Akt. Das Leichentuch über den Gespenstern war zwar mal eine schöne Abwechslung, aber schien mir irgendwie fehl am Platze. So richtig habe ich den Sinn nicht verstanden.
Die Gespenster jedenfalls waren nett kostümiert und trafen irgendwie voll dem Klischee eines Herren Dracula mit Frau. Während jedes Momentes ihrer Bühnenerscheinung dachte ich, jetzt happsen sie zu.
Die Erklärung Pipers zu ihrer Existenz fand ich ebenfalls ein bisschen platt. Da wurde bei der Librettoverfassung nicht so viel Energie hineingelegt und der schnell kommende Tod des Jungen bzw. des Endes schien mir auch so, als wollte sie es jetzt endlich zum Ende bringen.
„Miles, you are saved! – Farewell Mr. Quint! – Miles speak to me! Why don’t you answer…….“
That’s it!
Eure Jana
*aus dem Programm zur Oper; Spielzeit 2008/ 2009, Heft Nr. 9
**aus der Broschüre „Kulturzentrum Altes Theater“ der Stadt Dessau-Roßlau
***Wikipedia (your friend); „Das Durchdrehen der Schraube“; am 22.03.2009
****The New York Times zum Tod von Myfanwy Piper im Jahr 1997