Mefistofele in Chemnitz
Eigentlich fühlt man sich gar nicht so gut, hat sich die ganze Woche auf Arbeit so über Wasser gehalten, der Arzt hätte einen ja auch noch eine Woche krank geschrieben, man wollte es aber nicht, aus Prinzipien die keiner verstehen würde, nicht etwa, um unbedingt das Bruttosozialprodukt zu steigern.
Also sehe ich mir, nicht gerade in Hochstimmung, aber da ich die Karte nun mal habe, die Premiere des Mefistofele in der Oper Chemnitz an. Ich muss sagen, durch eine Veranstaltung im scheinbar immer besser werdenden Dessau hatte ich ziemlich hohe Erwartungen. Chemnitz hat immerhin auch schon sehr Gutes geboten. Und, um es vorweg zu nehmen, die Bühne war recht interessant gestaltet, die Stimmen waren sehr angenehm und die Musik perfekt performt.
Die Oper wurde von Arrigo Boito (nie gehört) geschrieben, eigentlich ein Librettist, der sich eines Tages dachte, doch mal eine Oper nach dem Vorbild Wagners zu schreiben. Der Inhalt war dabei sehr stark an Goethes Faust angelehnt, was ob dessen Potentials schon mal klug war. Beim zweiten Versuch ist die dann auch zum Erfolg geworden. Nun wurde sie zuerst in Budapest wieder inszeniert und die Inszenierung von Balazs Kovalik mit einigen Anpassungen nach Chemnitz übernommen.
Die Musik war so ganz nett, nicht schlecht, naja. Irgendwie denke ich, hat schon seinen Grund, dass das jetzt nicht der Superklassikerknaller ist. Erinnerte mich an einen Beitrag in der Freien Presse über eine Band namens Neander, wo Caspar- Gitarristen dabei sind, mit coolem Bild und voller Lob. Gib ihnen eine Chance sieh dir mal das Video an, denke ich mir. Es kam genauso, wie ich vermutet hatte. Es klang irgendwie interessant. Hab dann 5 min übersprungen, es wurde aber nicht besser. Ohne Caspar…, sorry.
Es begann dann mit einem Prolog im Himmel, wo Mefistofele rummeutert und dann rausfliegt. Diese Szene wurde getanzt, es gab kaum Text. Ich hab ehrlich gesagt nicht verstanden, wer da was darstellen sollte. Es war in der Form von klassischem Ballett, Männer mit engen Höschen und Kostümen mit Federn an den Armen, die sich gegenseitig in die Höhe hoben und elegant nin und her hüpften. Und das hörte ewig nicht auf. Wems gefällt. Hier wäre echt Potential für was Interessantes gewesen, oder sollte das konsequent klassisch gehalten werden?
Nein, sollte es nicht. In späteren Szenen gab es moderne Anzüge und Sonnenbrillen, nett anzusehen. Dann sprangen da mal plötzlich Tänzer in die Höhe, das war interessant anzusehen, fast wie Streetart oder Musical oder so. Beim sogenannten Hexensabbat, der in eine Spielhölle gelegt wurde, tanzten Tänzer/innen auf Spieltischen nach der klassischen Musik. Das Bühnenbild war wirklich gut und hat perfekt die Atmosphäre dargestellt. Ich glaube der Tanz auf den Tischen sollte irgendwie eine Brücke zwischen Klassik und Moderne bilden, aber das sah, mit Verlaub, schon etwas albern aus. Und wieder: Da wäre so viel Potential gewesen, bei dem Bühnenbild und den professionellen Darstellern…
Aber nochmal zum Stück. Faust kommt von seinem müsigen Spaziergang zurück und ist eigentlich völlig mit sich und Gott im Reinen und total zufrieden. Eine Unzufriedenheit durch seinen Wissensdurst konnte ich nicht erkennen. Dann kommt Mefistofele und bei der Vorstellungszene zieht dieser eine Pistole und knallt da schnell ein paar Leute ab. Das war völlig unpassend, dazu ist der doch viel zu smart. Trotzdem macht Faust sehr schnell den Deal mit Mefistofele, sofort mit ihm in die Hölle zu fahren wenn er mal einen glücklichen Moment hat.
Zwischen den Aufzügen werden dann Zitate aus Werken von Bela Hamwas gezeigt.
Hier ein Beispiel. Im Grunde waren alle ähnlich verzweifelt:
“Alle neuzeitlichen Menschen, aber vor allem die sogenannten Kulturschaffenden, die Moralisten, die Lehrer, die Wissenschaftler, die Pfarrer und die Staatsmänner sind davon überzeugt, dass ihr Leben einen besonderen Rang hat. Von ihren hehren Gedanken wird aber nichts realisiert, weder universell noch individuell, das Ganze ist eine intellektuelle Illusion, hinter der sich häufig ein ganz ordinärer, arroganter, angeberischer, eitler, flacher, anmaßender, elender und ein unter allen Umständen primitiver Mensch verbirgt.”
Hinter einer Illusion verbirgt sich ein Mensch. Will er sich da verstecken? Naja, man versteht schon was der Autor meint wenn man nicht so logisch ran geht. Interessant, dass er sich selbst mit einschließt.
Ich glaube, man sollte dazu wissen, dass der Autor 1918 mit 21 Jahren aus politischen Gründen aus der Tschechoslowakei ausgewiesen wurde. Er lebte dann in Ungarn und musste als Land- und Hilfsarbeiter Geld verdienen, da er nach 1948 Publikationsverbot erhielt. Möglicherweise ist die politische Situation in Ungarn heute wieder so, dass solche Zitate aktuell anmuten.
Auch wenn man in vielen, aber eben längst nicht allen Fällen zustimmen kann, so sind das doch genau die Sprüche, die die Leute AfD wählen lassen.
Im Stück gab es dann eine 35 minütige Szene mit Gretchen Magherita, die nun zum Tode verurteilt war und statt sich retten zu lassen sich von Faust lossagt. Dadurch rettet sie ihre Seele. Dann war die zweite Pause. Es gab mächtig Beifall aber mich hat die Szene in eine Stimmung versetzt, dass ich nur noch ins Auto und nach Hause wollte.