Narzisstisches Stadttheater….

…. Also ehrlich, wenn DIE nicht sosehr in sich selbst verliebt wären, dann wäre da niemals der beste Fidelio ever bei herausgekommen. ENDLICH, ENDLICH, ENDLICH mal ein Highlight in der tristen Fidelio Aufführungssaga der gesamten deutschen Opernhäuser, der ich schon beiwohnen durfte – jipijahjehe und herzlichen Glückwunsch meinerseits an unsere Hallesche Oper!

Das war ja ein wunderbarer Gesellschaftsspiegel und das nicht nur bezüglich der Oper Halle und unserer Kulturszene, sozusagen in eigener Sache. Ein geniales trojanisches Pferd, was Ihr uns da unter geschoben und auf die Bühnenbretter gebracht habt. Ich höre es jetzt noch wiehern. Also ehrlich, Frau geht in Beethovens Mainstream Oper Fidelio, weiß eigentlich auch nicht warum, weil der Fidelio ist ja nun wirklich kein Morningstar am Opernhimmel. Eher wohl etwas gutbürgerlich Langweiliges… aber wahrscheinlich wars ne göttliche Eingebung oder einfach nur zuviel Freizeit am verregneten Sonntagnachmittag… naja, und das Bühnenbild was über Facebook reinkam, sah ja ganz hübsch aus. 16:00 Uhr passte zeitlich auch gut, dann kann man die Beethoven Oper auch mal dem Kinde (8) vorführen und hinterher könnte Family noch schön essen gehen.

Ich denke, der Beethoven wusste schon, warum er nur eine Oper geschrieben hat… ich würde auch sagen, seine Core Kompetenz liegt nicht im Opernschreiben… Ok, aber ich habe ja keine Ahnung von diesen Dingen und bin sicherlich soeben etlichen Spezialisten und Beethovenfans auf die Füße getreten – autsch! Nichtsdestotrotz, Opern in Halle sind in der Regel gut und mal sehen, was sie daraus machen – ha! Also in den Zuschauersessel kuscheln, Beine anwinkeln und warten, bis der Dirigent „Hallo“ sagt. …. UND! Der Herr Christopher Sprenger stürmte hinein, hopp ans Pult und sowas von schockierend, ohne uns, dem netten, seinem Publikum, eines Blickes zu würdigen, schlug er die Ouvertüre an. Hä?!? Was war denn das? Keine Chance zum Orchester begrüßen? Na das sind ja wieder neue Moden hier in Halle. Na dann eben nicht, so ein Angeber – hm. Ok, wahrscheinlich war er unter Zeitdruck. Müssen ja auch sehen, dass sie ihr Zeitmanagement einhalten. Kostet alles Geld…. Vielleicht haben sie ein bisschen LEAN  gemacht, ihre Prozesse optimiert und überflüssige, zeitraubende und somit Geld kostende Prozessschritte eliminiert. Das Publikum ist sowieso immer zu faul zum Klatschen und vielleicht merkt es ja keiner.

Wo waren wir gerade nach dieser Aufregung? Beim in den Sitz kuscheln und eigentlich würden wir auch jetzt die Beine gemütlich hochlegen um dem schönen Vorspiel zu lauschen, aber leider war es zu eng im Rang. Somit nur lauschen und Beine einfalten. Kind hatte es da einfacher. Sie hat Ihre Schuhe ausgezogen, gemütlich ihre Füße unter den Popo geklemmt und schaute faszinierend zur Leinwand. Es war ja wie Fernsehen, was da gerade ablief und als Mädchen freute sie sich natürlich über das hübsche Kostüm der barocken Dame, die durch unser schönes Halle flitzte um nach ihrem lieben Gemahl zu suchen, den der Boss des Staatsgefängnisses, Pizarro, ja in den Knast gesteckt hatte. …. Ich denke, Ihr kennt die Story. Wenn nicht, auf dieser schönen Schweizer Seite, die sich Opernführer nennt, findet Ihr das Libretto zum Nachlesen.

Also das mit dem Filmchen zur Musik auf großer Leinwand, was jetzt viele Opernhäuser als Darstellungsmittel nutzen, ist eine nette Idee. Da haben wir schon Vieles gesehen, was uns gefallen hat, genau wie diesmal auch. Mit so einem Trick war dann die Ouvertüre für das Kind sofort interessant geworden…. Ich denke, mit ihrer Teilnahme am Geschehen haben wir den Altersdurchschnitt ein bisschen runtergedrückt…. Ich denke, wir sind, summa summarum, genau wie in der Silbereisen-Schlagerbooom- Show der Öffentlich-rechtlichen, auf ca. 9% jüngerer Zuschauer/ -hörer gekommen. Bei beiden kommt das hochgradig erschreckend rüber, allerdings in gegensätzlicher Richtung. Wäre mal wieder eine schöne Diskussion: Was zur Hölle findet unsere Jugend an Helene Fischer und Roland Kaiser etc. pp.? Ist das jetzt wirklich die Aufruhr der Jugend gegen uns im Sternbild der NDW, New Wave und Punk und Pop geborenen Erwachsenen? Wollen sie es uns damit zeigen? Wissen sie, dass WIR DAS nicht ertragen? Man! Können die nicht lieber K.I.Z. hören? Da würde ich mich echt wohler fühlen. Was ist nur mit unserer Jugend los?

Diesmal hatte unsere Oper wirklich eine wunderschöne, für Fidelio perfekte Bühne zusammengebaut. Sehr konservativ, ja, aber wirklich hübsch und Frau denkt schon, naja, ja hübsch, wird ein gemütliches Opernspektakel  – ha! – und dann kommt der Change. Eine Leinwand fährt herunter und der Gouverneur des Knastes verkündet Einsparungen – Hä! Was ist das denn??? Kommt einen ja vor, als säße man nicht in der Oper, wo Frau sich in alte Zeiten wegbeamen kann, sondern im hier und jetzt Zeitgeist mit wirtschaftlichen Einschränkungserklärungen konfrontiert. Wovon redet der da jetzt…. muss mich konzentrieren… aha! Erklärungen zum Wohlfahrtsstaat und einem narzisstischen Stadttheater, was gern ein Ort der hohen Kunst sein will, aber eigentlich nur ein Dienstleister ist und natürlich viel zu teuer. Erinnerte mich sofort wieder an den Spiegel Bericht mit den Kommentaren dazu, doch Subventionen zu streichen und unsere Kultur sich selber zu überlassen – hm – also zieht Euch selber aus dem Schuldensumpf heraus …. Sofort beginnt mein Gehirn sich aus dem erholsamen, musikhörend, neudeutsch chillenden Verwöhnschlaf zu katapultieren und zu rufen: Was ist das jetzt! Frau kommt ja komplett aus dem Fluss des Geschehens. Wo sind wir denn jetzt? Moment, Moment mal???? …. und es dauerte auch wirklich eine ganze Weile, bis mein Hirn das mit dem Umdenken und an die neue Situation anpassen hinbekommen hat…. Das war wie ein scharfer Riss, ein Bruch im ruhigen Wasser. Das Meer wurde geteilt und mein Hirn war komplett durcheinander. Soll ich da jetzt wirklich durchgehen? Was ist, wenn die Wogen über mir zusammenschlagen und ich in der Ernsthaftigkeit des Stückes ersaufe…. Brrrr, das könnte aber ungemütlich nass werden…. Aber DANN wird alles klar und die Wogen schlugen nicht über mir zusammen – ok – dann folgt Frau mal gespannt den weiteren Aktionen. Nix mit kuscheln im Sitz, jetzt gerade sitzen und gucken, was da passiert… da unten auf den Brettern des politisch oder besser theatralisch kritischen Operngeschehens.

Die Musik wird sofort zweitrangig, der Inhalt, die Intension rückt nach vorn und die Oper wird zum zeitkritischen Theaterstück, und das nicht nur in eigener Sache, sie wird PLAUTZ zum Trojanischen Pferd –> Achtung! Spoiler Alarm!

Der Rede folgten Taten… Herr Gerd Vogel, so als Gouverneur und Steuerer des Knastgeschehens, hatte ohne Perücke schon ein wenig Ähnlichkeit mit unserem Oberbürgermeister Bernd Wiegand – hä? War das jetzt Zufall? Herrlicher Zufall! Nee – oder – das Spektakel wird immer interessanter…. Und plötzlich wartet man mehr auf die von der Inszenierung (Florian Lutz) eingebauten Zwischenkommentare als auf die hervorragend gesungenen Arien, Duette, Rezitativen und Chorgesänge. Das ganze Teil wurde immer fesselnder. GRANDIOS!!! BRAVO!!! BRAVO!!! BRAVO!!! APPLAUS!!! APPLAUS!!! APPLAUS!!!

Die Handlung der Oper wird zu „In eigener Sache“ und erinnert sehr an unsere gängigen Wirtschaftsmechanismen…. Wir brauchen mehr Gewinn und was fällt uns da als erstes ein? Nö, nicht, Verbesserung und Innovation…. Als erstes kommt der beste Kostentreiber: das Personal! In unser eingeschränktes Sichtfeld. Ok, weg damit, brauchen wir nicht: Liebes Personal, wir freuen uns Euch mitzuteilen, dass wir Euch die Freiheit geben Euch Eure Arbeitskraft viel flexibler zu gestalten indem wir Euch Selbstständigkeit anbieten. Wir orientieren uns auf unsere Kernkompetenzen und sourcen die, die denen nicht entsprechen somit aus…. und da es sowieso keiner merkt jubeln wir auch noch ein paar weitere Stellen unter, zuviel Personal ist eben einfach untragbar. Kann man auf dem freien Markt ruck zuck einkaufen, wenn man es braucht. Wie sieht es denn in Indien aus? Die sind doch viel billiger… ach naja, und das mit der Sprache und Qualität bekommen wir schon hin. Damit muss sich ja dann das einfache Volk rumschlagen, da haben wir dann nichts mehr mit zu tun…. Und außerdem leben wir jetzt nicht mehr in einer Servicegesellschaft, sondern in einer „Do-it-yourself-Gesellschaft“ Da kann’s das Volk ja doch gleich selbermachen. DAS ist für uns am Billigsten! Geiles Konzept! Horray!!!

Vom outsourcen in die Selbständigkeit wären dann in diesem Stück betroffen: Rocco, der Kerkermeister. Der wurde zum Sicherheitsdienst. Dessen Tochter Marzelline, die Putzarbeiten übernommen hatte, zur Reinigungskraft und der Pförtner, der sonst die Post brachte, kam bei DHL unter – herrlich! Outsourcing in seiner besten Ausprägung dargestellt. Gute Idee – ha! Die Herren und Damen outgesourcten tauschten die barocken Klamotten in die uns wohlbekannten Firmen Arbeitssachen und sangen genauso hervorragend weiter das Geschehen herunter. Das waren alles wunderbare Profistimmen (Vladislav Solodyagin als Rocco, Ines Lex als Marzelline und Robert Sellier als Jaquino), denen das Publikum immer hin-und-her-gerissen zwischen stranger Inszenierung und Beethovenoper lauschte…. Also die gleiche Arbeit für weniger Geld … und untern Strich ward das dann auch erklärend für alle Shareholder graphisch und unkommentierbar auf einem Flipchart überzeugend dargestellt…. Alle Akteure weg, Kosten = 0 EUR! SO würde es der Wirtschaft auch gefallen: Wir brauchen keine Produktion mehr. Die ist viel zu teuer. Also wenn wir könnten, würden wir die glatt wegrationalisieren. Die non-value-added sich tummelnden Finanzmärkte und Bankenfreuden können sich auch ganz gut mit sich selber beschäftigen. Also AUF, AUF zur betrieblichen Umstrukturierung und legen wir gleich mal die Pistole aufs Flipchart. Vielleicht brauchen wir sie später ja noch um dem Ganzen Drama hier ein schnelles Ende zu bereiten – hm.

Dann lasst mal jetzt die Investoren kommen, bitte mit Headsets ob der vielen Sprachen, denn wir schreiben international aus…. hops auf das Bühnengeschehen. Die Bühne ist komplett umgekrempelt und umgedreht. Das schöne Bühnenbild nach hinten gekehrt und es wimmelte von Menschen in Businessklamotten. Die Gefangenen der Struktur kommen im Anzug aus dem Kerker ans Licht und Frau denkt, letztendlich machen die den Knast noch zu. Ist einfach zu teuer. Oder teilen ihn in mehrere kleinere Stücke auf um ihn besser verkaufen zu können.

Sprecht leise! Haltet euch zurück! Wir sind belauscht mit Ohr und Blick.“1

Ha! Immer alles unter vorgehaltener Hand. Nur nichts zur Belegschaft durchdingen lassen. Alle Pläne sind geheim bis es dann letztendlich knallt und alle vor vollendete Tatsachen gestellt werden. … und dann wird das Inventar veräußert. Herrlich! Fidelio feat. „Bares für Rares“ und die Opernausstattung wird an den Meistbietenden verhökert. So isses. Gut gemacht vom Inszenierungsteam (Florian Lutz, Martin Miotk, Andy Besuch, Iwo Kurze, Rustam Samedov, Christopher Sprenger, Kornelius Paede)! Das hatte Wiedererkennungswert, zumindest für das Kind, die diese Sendung bei Oma und Opa angeguckt hat und nun begeistert war, dass sie jetzt auch mitreden konnte…. Im Übrigen war es bei uns oben im Rang schon die ganze Zeit etwas unruhiger als sonst. Wir konnten einfach nicht unseren Mund halten und mussten uns schon während der Oper dauernd über das Bühnengeschehen dort unten im wahren Leben austauschen… Da es nicht sehr voll war hier oben im Rang, hoffe ich, dass wir keinen beim Musikgenuss gestört haben… aber ich konnte mich nicht bremsen. Die waren diesmal einfach zu gut und das Teil hatte zuviel Potential, als dass man und Frau mit der Auswertung bis zum Schluss warten konnte.

Tja, ist schon traurig, dass solche TV Sendungen die Massen anziehen. Naja, heißt ja auch Mainstream…. Oder ist das nicht mehr so? Sind diese Zielgruppen auch am Aussterben? Die Zielgruppen für Oper und Theater sollten auf alle Fälle nicht aussterben. Das Angebot ist so breit gefächert, zumindest in meinem Einzugsgebiet, dass für alle etwas Interessantes dabei zu sein scheint … und wir haben die Uni mit ihren Studenten in der Stadt. Die brauchen unsere Kulturvielfalt… und auch ich brauche diese. War immer glücklich mit unserem breiten Spektrum an kulturellen Möglichkeiten und habe alle anderen Standorte bedauert, die so spartanisch und teuer bestückt waren. DAS war ein Grund für mich in Halle zu bleiben, obwohl es eine Menge anderer Verlockungen gab. Ich meine, die kulinarischen Erlebnisbereiche und Einkaufsmöglichkeiten in Halle sind es nicht, die mich hier halten.

Bares für Rares und die Oper ward imnu zerpflückt…. manch einer würde dazu sagen abgewickelt.

Was kann man da noch tun als alles neu zu berechnen, versuchen innovativ zu sein…. Finden wir ein Konzept zur Rettung…. zur schönen Fidelio Background Musik „Wie kalt ist es in diesem unterirdischen Gewölbe!….. Ihr sollt ja nicht zu klagen haben, Ihr sollt gewiss zufrieden sein.2 um Geld und Finanzen? Hä?  Also so ganz passt das jetzt nicht zusammen… ich denke, ich habe schon sehr viel Phantasie und Interpretationsgeschick… aber das war schwierig…. Aber naja…. Vielleicht ja doch.

Gott! Welch Dunkel hier! O grauenvolle Stille! Öd‘ ist es um mich her. Nichts lebet ausser mir. O schwere Prüfung! – Doch gerecht ist Gottes Wille! Ich murre nicht! Das Mass der Leiden steht bei dir. In des Lebens Frühlingstagen Ist das Glück von mir geflohn! Wahrheit wagt ich kühn zu sagen, Und die Ketten sind mein Lohn. Willig duld‘ ich alle Schmerzen, Ende schmählich meine Bahn; Süsser Trost in meinem Herzen: Meine Pflicht hab‘ ich getan!3

Und dann PENG, PENG, PENG…. alle erschossen im untergeschossigen Büro des Opernknastes. Leonore (die hervorragende Anke Berndt) war da jetzt nicht zimperlich. Ach nee! Die Knarre schießt ja wirklich – was war denn das? Hattet Ihr jetzt keine Lust mehr, liebes Inszenierungsteam, oder heißt das jetzt „keine Rettung mehr für uns“ oder „weg mit der alten Geschäftsführung!“ … eigentlich müsstet Ihr doch eher den Oberbürgermeister erschießen… habe jetzt den Faden verloren…. Ok, wir haben auch zuviel Nebendiskussionen gehabt, hier oben auf dem Rang. Vielleicht habe ich ja auch nicht alles mitbekommen… shit happens. So ist das, wenn man im Meeting nebenher quatscht und sich nicht mehr aufs Geschehen konzentrieren kann, weil man einfach zuviel dazu zu sagen hat. Hätte da immer wieder mal eine Diskussionspause gebraucht – ha! – Interaktiv wäre auch schön gewesen… vielleicht besser als hinterher – hm – der Fluss des Stückes war ja eh im Ar***, warum nicht gleich das Publikum mit einbeziehen – ok, ja, das wäre dann wohl mehr etwas für die Raumbühne gewesen. Ich bin wieder total unrealistisch.

Der Fluss des Stückes letztendlich war total egal… es war eine hervorragend verrückte und faszinierende Mischung. Eine Mischung, die die Spannung durch den kompletten Fidelio immer wieder am Leben hielt. Noch nie dagewesen in meinen Augen. Ich war bis zur letzten Minute in purer Neugierde auf noch Folgendes. Was haben sie sich noch ausgedacht, war immer in meinem Kopf. Wie bei einem spannenden Film…. Bloß der Schluss passte in meinen Augen nicht wirklich hinein. Sollte das jetzt noch mal der Link zu Beethovens Freiheit mit Zeitkritik sein? War sehr schön gemacht, aber das Teil passte auch mit drehen und wenden irgendwie nicht in mein eigentlich schon fertiges Puzzle. Nö, das lege ich jetzt mal einfach daneben….

 

Eure Jana

Oper Halle am 22.10.2017
Oper Halle am 22.10.2017

 

1 – Libretto: Nr. 10 – Finale; zweiter Gefangener und Chor; Opernführer

2 – Libretto: Nr. 12 – Melodram und Duett; Opernführer

3 – Libretto: Nr. 11 – Rezitativ und Arie; Opernführer