Ich selbst bin ja arbeitsbedingt auch nach Halle gemacht und immer wieder erstaunt über die reichhaltige Kunstszene hier.
Margeruite Friedlaender und Gerhard Marcks sind 1925 vom Bauhaus Weimar nicht mit nach Dessau umgezogen, sondern nach Halle in die Kunstgewerbeschule auf der Burg Giebichenstein. Es besteht schon immer eine starke Verbindung zwischen der Burg und dem Bauhaus, das nächstes Jahr 100 Jahre alt wird. Allemal ein Grund, eine Ausstellung über die befreundeten Künstler in der Kunsthalle Talstraße zu machen. Diese wurde schließlich von neun Absolventen der Burg gegründet. Die Burg arbeitet außerdem eng mit der Moritzburg und auch mit der Oper zusammen. Hier ist sie an einer Inszenierung der Messa da Requiem von Verdi beteiligt, wo erstmals Virtuelle Realität auf der Bühne eingesetzt wird (macht mich echt neugierig). So lässt sich also die Spur von der Talstraße direkt bis zu den zwei Künstlern zurückverfolgen.
All das finde ich hochinteressant und habe es bei den Reden erfahren, die zur Eröffnung dieser Ausstellung gehalten wurden.
Redner waren:
Vorsitzender des Kunstverein Talstraße: Matthias Rataiczyk,
Staatsminister Rainer Robra, Chef der Staatskanzlei und Minister für Kultur,
Prof. Dieter Hofmann, Rektor, Professor für Industrial Design/Produkt- und Systemdesign,
Dr. Arie Hartog, Direktor vom Gerhard-Marcks-Haus Bremen,
Prof. Dr. Sara Burkhardt, Professorin für Didaktik der bildenden Kunst mit einem Text, den sie gemeinsam mit
Prof. Dr. Veronica Biermann (Vertretungsprofessorin), Design- und Architekturgeschichte geschrieben hat,
Dr. Renate Luckner-Bien, Kuratorin in Halle,
Und Dr. Katja Schneider, Kuratorin.
Es wurden noch von den Schauspieler*Innen Danne Suckel und Peer-Uwe Teska sehr ausdrucksstark Briefe vorgelesen, die mich dann tatsächlich teilweise in die Zeiten und Situationen der Schreibenden in den 30er und 40er Jahren versetzt haben.
Die Ausstellung hat zahlreiche Förderer, ich glaube die Liste hier ist nicht vollständig:
Land Sachsen-Anhalt
Lotto Sachsen-Anhalt
Saalesparkasse
Hallesaale
Vorwerk
ÖSA Versicherungen
Was gab es nun zu sehen? Zum Beispiel QR-Codes. Mein Handy war allerdings zu langsam, sie gleich zu öffnen. Wahrscheinlich der falsche Vertrag. Oder ich gönne anderen das Geld eher als der Telekom. So habe ich die Codes fotografiert und zu Hause nachgelesen. Es verbergen sich dahinter interessante Hintergrundgeschichten aus dem Katalog zur Ausstellung, geschrieben von den Kuratorinnen. Prima Idee. Mit dem nun neu aus den Reden erworbenen Hintergrundwissen erscheint jetzt manches in einem anderen Licht. Zum Beispiel das Porzellan von Margeruite Friedlaender. Ziel war es, die Einfachheit im Vielfachen zu gestalten. Vermeintlich einfache Formen von hohem künstlerischen Wert werden als Massenware produziert. Sie werden Elemente im täglichen Leben. Menschen, die es benutzen, bekommen ein besseres Lebensgefühl und erweitern ihren Horizont. Eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit der Künstlerin auf der Burg Giebichenstein mit der Industrie (KPM) wurde 1933 von den Nazis beendet, weil sie Jüdin war. Eine Kunstschule wie die Burg stärkt die künstlerische Meinungsfreiheit und setzt sich gegen eine schleichende Einschränkung dieser zur Wehr. Kein Wunder also, dass es 1933 hier viele Entlassungen gab und der künstlerische Bereich der Schule geschlossen wurde. Ich habe bei Wikipedia noch etwas dazu gefunden, was ich hier zitieren möchte. Würde mich nicht wundern, wenn das auch eine der Kuratorinnen dahin geschrieben hätte, zumal da auch diese Kunstausstellung hier erwähnt ist, aber das weiß ich nicht:
Innerhalb von zehn Jahren (1923–1933) entwarf sie neben der „Halle“-Vasen-Serie fünf Service. Insgesamt entwickelte Friedlaender 59 Einzelformen für KPM. Weißporzellan mit sachlich moderner Formgebung als Tischgeschirr galt zu diesem Zeitpunkt als Neuheit.[3]
Zu dieser Zusammenarbeit schrieb Wilhelm Nauhaus: „In der kurzen Zeit von Januar 1930 bis Januar 1933 brachte die Staatliche Porzellanmanufaktur Berlin mehrere Tee- und Kaffeegeschirre, Vasen und Dosen von nicht übertroffener künstlerischer und technischer Qualität heraus, die den Ruhm der alten Manufaktur neu begründeten und rasch über Kontinente trugen. Der im Jahre 1933 zur Emigration gezwungenen Künstlerin wurde bald nach dem Betreten Amerikas auf einer Gesellschaft der Tee aus Friedländer-Porzellan gereicht, ohne daß der Gastgeber vom Zusammenhang zwischen Gast und Geschirr etwas ahnte“.[4]
3. Katja Schneider: Marguerite Friedlaender-Wildenhain: Vom Bauhaus an den Pazifik. In: Britta Jürgs (Hrsg.): Vom Salzstreuer bis zum Automobil: Designerinnen, S. 52, Aviva Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-932338-16-2
4. Wilhelm Nauhaus: „Die Burg Giebichenstein“, o. S.
Gerhard Marcks hat zum Teil Entwürfe für das Porzellan von Margeruite Friedlaender geliefert. Sein bekanntestes Kunstwerk sind wohl Kuh und Pferd an der Giebichensteinbrücke. Sie stehen für die Verbindung zum ländlichen nördlichen Teil von Halle.
Sehr beeindruckend fand ich Luther und Melanchthon UND den Pan. Manche Figuren kamen mir beinahe witzig vor, wie zum Beispiel der Denker. Ich glaube er ist eine Persiflage auf selbigen von Auguste Rodin. Die Fachleute wissen natürlich, ob er das ist.
Aber warum immer wieder Kühe? Ich habe zwar gelernt, Gegenstand seines Kunstwerkes seien nicht die Frau oder die Kuh sondern man müsste sein Gesamtkunstwerk sehen und die Widersprüche oder irgend sowas. Ehrlich gesagt bin ich mit meinem Programmierer-Nerd-Hirn da leider ausgestiegen. Ja, ich bin nicht vom Fach. Aber ich glaube davon gibt es noch mehr, und auch die können trotzdem die Ausstellung interessant finden. Jedenfalls, wenn ich eine Kuh sehe dann ist der Gegenstand, den ich sehe, eine Kuh, da bin ich ganz einfach gestrickt. Und mit Kühen hatte ich als Kind viel zu tun. Meine Eltern waren in der LPG Typ I und hatten noch eigenes Viehzeug. Ich habe die Kühe oft aus- und eingetrieben und dabei einiges über sie gelernt. Sie werden meist als dümmlich dargestellt, aber das sind sie nicht. Tatsächlich sind es die klügsten Tiere die ich kenne. Sie können sich in einen Menschen reinversetzen und wissen zum Beispiel genau, was dieser aus seinem Blickwinkel sehen kann. Und nicht umsonst hat die Kuh in der Ausstellung auf Professor Hofmann so beruhigend gewirkt. Tiere werden schließlich zunehmend bei Therapien eingesetzt. Ich denke auch, ein Kunstwerk wie so eine Kuh wirkt und funktioniert, ohne dass man irgendeine Vorbildung zum Werk von Gerhard Marcks hat. Jeder kann doch hier hineininterpretieren was er will, es wirkt wie ein Katalysator. Klar muss man sich oft Kunstwerke erst erarbeiten, um sie zu verstehen. Aber eine Kuh und ein Pferd, die mit festem Blick den Wellen der Saale trotzen, das versteht jeder.
Wie auch immer, es war eine sehr interessante und stark besuchte Veranstaltung mit interessanten Menschen und ebensolchen Informationen. Auch wenn die Baustelle draußen immer noch da ist, oder ist es schon wieder eine neue?