Wenn man das von sich behauptet, so macht einen das schon wieder sympathisch. Doch ist es das Zentraltheater mit seinem Macbeth auch?
Der Anfang ist erst mal erfolgversprechend. Ein Mann, ziemlich ko und blutbeschmiert, kommt durch die Zuschauertür und bewegt sich an der Wand entlang in Richtung Bühne, die durch eine riesige Stahlwand verschlossen ist. Dabei klopft er schwach an die erwähnten Wände und ruft leise „Aufmachen!“. Also nicht der typische Macbeth – Beginn. Doch was will er? Keine Ahnung. Jedenfalls ist die Szene eines großen Dramas würdig. Dann kommen weitere Figuren durch eine Tür in der Stahlwand, und der rufende Mann, inzwischen gänzlich unbekleidet, verschwindet in selbiger Tür. Man spricht über die Schlacht, doch plötzlich springt einer mit einer Axt über die Bühne, gebärdet sich wie im Kindertheater, hackt aus Versehen ein paar Finger ab. Das ganze ist vollkommen grotesk, absolut nicht zu einem Drama passend. Nun endlich erscheinen Macbeth und Banquo, doch statt der Hexen gibt es einen sogenannten Dunkelsprecher. Das ist ein Hund, dessen schauspielerisches Talent (rumstehen und gucken) zu diesem Zeitpunkt schon fast positiv hervorsticht. Die Stahlwand verschwindet, und Macbeth entleert sich unappetitlich in einen Holzeimer. Recht gewöhnungsbedürftig. Nun endlich kommt König Duncan, bereits kreidebleich und den berühmten Dolch auch schon in der Brust. Die eigentlich stolzen Edelmänner duckmäusern vor ihm, außer Macbeth. Auch wieder eine Szene, die schon als albern zu bezeichnen war. Als den König der Inhalt des Holzeimers offenbar mehr interessiert als die politischen Angelegenheiten, die es zu besprechen gibt, fällt ihm seine Krone vom Kopf und natürlich in den Eimer.
Spätestens jetzt stellt sich mir die Frage: Was soll das??
Nun, ich hab den Schlüssel dazu gefunden, jedenfalls aus meiner Sicht. Möglicherweise ernte ich dabei nicht die 100%ige Zustimmung des Regisseurs, doch er hat Kunst gemacht, und die ist ja bekanntlich nur gut, wenn sie jeder für sich selbst auslegen kann, wie er möchte, und sich darin irgendwie reflektiert.
Das Theater will zweifellos etwas Neues machen, eine neue Art von Theater. Sowas gab´s schon immer mal, manchmal sicherlich erfolglos, immer muss sich der Zuschauer aber erstmal dran gewöhnen. Hier bei Macbeth drängt sich mir dabei der Vergleich mit einer bestimmten Art der modernen Musik auf: Bei der gibt es keine Melodien im eigentlichen Sinne, die Instrumente erzeugen Harmonien und bewusste Disharmonien, die sich zu Klangbildern vereinigen, und im Kopf baut sich das dann wieder als Musik zusammen. Das ganze erinnert mich dann immer unweigerlich an die Fourier – Transformation. Bei dieser geht es darum, den zeitlichen Verlauf einer Funktion in eine Darstellung mit harmonischen Schwingungen zu transformieren. Man hat also zuerst irgendeine zeitlich veränderliche Größe, vielleicht die Temperatur des Wassers auf einer Herdplatte oder den Ton, der über eine Telefonleitung übertragen wird. Diese nun kann man in einem Diagramm als zeitabhängige Kurve malen, so wie es jeder schon mal gesehen hat. Das ist das, worunter man sich was vorstellen kann, so wie die Melodie in der althergebrachten Musik oder eine gradlinige Handlung in einem Theaterstück, oder auch ein gemalter Gegenstand auf einem Bild der Alten Meister. Praktisch und gut, funktioniert.
Nun die Fourier-Transformation. Ein Schlauer hat mal herausbekommen , dass man jede beliebige Funktion als Summe von harmonischen Sinusschwingungen mit verschiedenen Frequenzen nachbilden kann. Selbst eine Rechteckschwingung laesst sich so darstellen. Man nimmt also Sinusschwingungen verschiedener Frequenzen, lässt sie aufeinander los, addiert sie also, und kann jede Zeitfunktion damit erzeugen. Man muss nur wissen, wie weit die verschiedenen Frequenzen ausschlagen muessen. Will man das nun in einer Funktion beschreiben, nimmt man als X-Achse nicht mehr die Zeit, sondern die Frequenzen. Der Ausschlag (Amplitude) entspricht dann der Höhe der Funktion in Richtung Y-Achse.
Kurzum: Eine simple zeitlich ablaufende Sache wird durch die Transformation mit Hilfe verschieden starker Frequenzen, oder Farben, oder auch Stimmungen, die in bestimmten Stärken miteinander kombiniert werden, dargestellt.
In der oben erwähnten modernen Musik sind die Klangbilder die Farben und Stimmungen, die dann im Kopf zusammen kommen. Die Melodie, die man nachpfeifen kann, gibt es nicht mehr.
Ebenso vermisst man in der modernen Malerei oft erkennbare Gegenstände. Auch hier setzen sich die verschiedenen Stimmungen im Kopf zu einem Gesamtbild zusammen.
Kommen wir nun wieder zu Macbeth. Auch hier ist die eigentliche Handlung fast schon verstümmelt. Wenn man das Stück nicht kennt hat man kaum noch eine Chance, alles nachzuvollziehen. Aber natürlich ist sie da. Das Beherrschende jedoch sind die erzeugten Stimmungen, die das zeitliche etwas verschwimmen lassen. Deshalb hatte König Duncan von Anfang an schon den Dolch in der Brust, hat sich um völlig belanglose Sachen gekümmert, er war sozusagen schon tot. Der Mann am Anfang hinterlässt eine Stimmung von tiefer Erschöpfung und Unzufriedenheit, auch wenn das so an der Stelle für die direkte Handlung keine Rolle spielt. Und es gibt noch viele solcher Bilder, die geradezu phantastisch gut sind. Akteure die sich bei donnernder Musik im Nebel und Stroboskoplicht über die Bühne bewegen genauso wie Menschen die eher schleichen, aber in brillanter Weise durcheinander reden, wie man es mit Worten nicht beschreiben kann. Sehr tragische Szenen werden durch grotesk anmutende Gegenstücke insgesamt abgemildert, ohne aber ihre Stärke zu verlieren.
Mein Rat für dieses Stück: Vorsichtshalber mit der Handlung noch mal vertraut machen und dann einfach wirken lassen. Und nicht allzu viel drüber nachdenken, zumindest nicht logisch.
Thomas