Prometheus brachte das Feuer in die Welt. Wer die Musik?
Die alten Mönche haben wunderschön gesungen. Es gab Barock, Bach, Händel. Die haben zweifellos gute Arbeit gemacht. Es gab auch Mozart, naja. Und Beethoven und Wagner, Strawinsky und Bartok und viele mehr. Alle haben großes geleistet, die Händelhalle zeigt das regelmäßig. Man war gelegentlich da, hat Virtuosen an der Geige und am Cello erlebt und bewundert. Ein Meer von Harmonien und manchmal gewollten Disharmonien, großes Orchester mit tollen ganz verschiedenen Klängen, begeistertes Publikum.
Es gab den Jazz, den Blues, den Rock’n Roll. Die haben aus dem Leben erzählt und einen schon mal vom Stuhl gerissen. Ja, es gab auch Frank Sinatra und die anderen Schlagerfuzzies. Wem’s gefällt.
Die Beatles haben dann wieder was Neues gemacht, auch nicht schlecht. Da steckte einige Kreativität drin. Auch bei den Rolling Stones.
Ein großes Feld mit vielen Stilrichtungen an Musik, jede für sich schön.
Doch dann geschah etwas Unerhörtes. Alle Kräfte des Universums waren für einen Moment gleich gepolt und haben in die Musikwelt gefeuert. Es wurde ein Gigant erschaffen, der alle herumliegenden Musikbrocken aufgesammelt und verarbeitet hat. Dann fing er an, etwas Neues in die Welt zu bringen. Mehrere Jahrzehnte lang produzierte er Schlag auf Schlag die Musik, die jetzt erst ihren Namen verdient hat. Es entstanden überirdische Klangwelten, die zum Teil schwer zu verdauen waren, aber die einige Menschen bereits anfingen zu verstehen. Grad genug, damit die Menschheit auf diesen Giganten aufmerksam wurde. In den späten Achtzigern hatte der Gigant sein Werk vollbracht und schaffte weniger. Nach 1990 war nichts Überirdisches mehr vom einstigen Giganten vernehmbar, nur noch gute Musik von Menschen gemacht, maximal doppelt so gut wie das meiste Zeugs was es sonst noch so gab.
Also, wer brachte die Musik in die Welt? Natürlich Pink Floyd.
Der Autor dieser Zeilen wurde seit früher Kindheit an die Musik von Pink Floyd gewöhnt. Manches kam ihm bizarr und unverständlich vor, anderes unvorstellbar gut, immer war es interessant. Den Namen Pink Floyd umgab bald eine Mystik, zumal man ihn nur aus Radiolautsprechern kannte und sich gar nicht vorstellen konnte, dass das einfach nur Menschen sein sollten, die Musikinstrumente bedienten wie andere auch. Völlig ausgeschlossen. Man hörte von gigantischen Konzerten mit einer zweistelligen Anzahl von Sattelschleppern für das Equipment, von über die Bühne fliegenden Düsenjägern. Das war natürlich alles hinter einem unüberwindbaren Hindernis für den Autor. Trotzdem gab es auch vor diesem Hindernis Medien, die die Musik zum Mitschnitt angeboten haben. Und es gab sogar von Amiga nachgepresste Schallplatten. Man kannte einen, der schon mal einen gesehen hatte der eine hatte. Aber es gab Tonbandaufnahmen. Um an Schallplatten ranzukommen, hat der Autor während der Lehre Mopeds für die Vietnamesen, die dort auch im Internat waren, aus dem Laden überführt weil die Vietnamesen keinen Führerschein hatten. Die kamen aber irgendwie an die Platten ran. Pink Floyd war leider nicht dabei. Später wurde eine junge Verkäuferin verführt, um „Wish You Were Here“ zu bekommen. Was tut man nicht alles. In Ungarn gab es Platten wo Pink Floyd drauf stand, die aber von absolut minderwertiger Qualität waren und dazu noch wild konzeptlos zusammengeschnitten. Naja, besser als nichts.
Allerdings hatte man einen Freund, dessen Schwester mit einem Seemann befreundet war. Und der brachte all die Platten mit. Man hat manches Mal zusammen die Platten gehört, Unmengen Schnaps gesoffen und philosophiert und geträumt. Manches fand man damals schwer verständlich, doch man hat es wieder und wieder gehört, es klang trotzdem einfach gut. Und es haben sich die Synapsen gebildet.
Pink Floyd ist wie Schokolade mit 98% Kakao, für den Untrainierten völlig ungenießbar. Oder wie besonders herber Wein oder hochprozentiger Schnaps. Manchmal werfen sie einem Brocken vor, wie „Another Brick In The Wall“, die auch der Laie versteht, die aber trotzdem brillant sind.
Später konnte man gebrauchte originale Schallplatten im Internet kaufen, das war schon gigantisch. Man hört sie an, ist begeistert, sitzt dabei am Kamin, die Lautstärke hält sich in Grenzen. Dann rücken sie wieder in den Hintergrund.
Eines Tages kommt dann ein Kollege und erzählt was von Brit Floyd in Halle und dass die sehr gut sind, wie das Original. Man glaubt es kaum, doch er beteuert es, er hat sie schon gesehen.
Da man wie gesagt viele Jahre braucht, um dieses Musikkonzentrat zu verkraften, sollte für solche Konzerte ein FSK 35 oder besser 55 gemacht werden. Allerdings wäre es in diesem Fall tatsächlich überflüssig gewesen.
Was kommt da wohl?
Und dann geht es los.
Und wie.
Kurze trockene Bassriffs im Dunkeln, die einen in die Magengrube wummern. Der Fußboden schwingt mit. Dann wieder Ruhe und dann geht es weiter. Die Lok, die bei Pink Floyd immer wieder fährt, mal durch Gitarre, mal durch Synthesizer angeheizt, nimmt Fahrt auf. Und wie sie fährt. Man kennt die Strecke genau, weiß, wann die nächste Kurve kommt und was dahinter ist. Und das muss so sein. Gleich kommt das hohe messerscharfe Synthesizer und zerschneidet die Luft. Dann die gigantischen kurzen Gitarrenriffs. So viel Power, das ist fast nicht zum Aushalten. Und es geht völlig rücksichtslos immer weiter. Ohne auf die Passagiere zu achten, denen es fast schwindlig wird und denen die Hände zittern, düst die Lok mit zunehmender Power und Geschwindigkeit immer weiter. Es geht durch die bekannten phantastischen Landschaften, wo man schon fast vergessen hatte, wie phantastisch sie waren. Dazu dieser Klang in dieser Konzerthalle. Die Töne kommen so sauber und klar, so trocken, man kann sie förmlich sehen. Und ja, tatsächlich. Es sind echte Menschen, die dieses Wunder vollbringen. Nicht Pink Floyd selbst, das wäre dann wohl doch nicht mehr zu verkraften. Aber was die da machen steht dem Original musikalisch in nichts nach. Immer wieder schießt das Synthesizer mitten ins Gehirn, die Bässe in den Bauch, die Gitarren in die Seele, und es kann gar nicht laut genug sein. Diese bunten Klangwelten bauen manchmal eine Spannung auf, die schon fast schmerzt. Und dann kommt die Erlösung, und man kann einfach nicht genug davon haben. Und das nächste Lied, man kann es nicht erwarten, was wird das nächste sein? Dabei ist es fast schon egal, weil einfach alles gut ist (vor 1990). Die Stimmen sind tatsächlich von David Gilmour und Roger Waters nicht zu unterscheiden. Das legendäre kurze Lachen kommt genauso fies daher wie es sein muss. Die bizarren Töne sind so bizarr wie sie sein müssen. Alles ist perfekt. Und dann der Frauenchor. Drei wunderbare Sängerinnen mit Stimmen, die zusammen so einen vollen runden Klang haben dass man fast weinen möchte. Ausdrücklich erwähnt werden muss „The Great Gig In The Sky“ von „Dark Side Of The Moon“. Gibt es eine Steigerung zur Superlative? Was die Sängerin, eine von den dreien, hier geboten hat, ließ das Blut gefrieren. Das Publikum brach in spontane Jubelstürme aus, das war einfach zu viel.
Die Gitarren wurden mit so einer Leichtigkeit und Perfektion und Geschwindigkeit gespielt dass man gar nicht glauben konnte, was dabei rauskam. Bei einem Stück aus „Animals“ wurden zwei Leadgitarren so exakt synchron gespielt, dass die Interferenzen den Ton schillern ließen, dass er so fett daher kam wie ein Ton nur fett sein kann. Und das Saxophon. Muss es noch gesagt werden, wie das war? Nein? Doch, denn es war besser. Es ging durch die Seele wie durch Butter, man kann sich noch so versuchen zu wehren.
Möge das hier nie aufhören. Wie soll das Leben nach dem Konzert weitergehen? Irgendwann muss es zu Ende sein. Ein Blick auf die Uhr, 22:45! Was??? Das ist doch nicht möglich! Wo ist die Zeit? Und dann ganz am Ende nochmal „The Wall“ und die Lok fuhr und die Damen auf der Bühne marschierten und die Mauersteine im Video auch. Gigantisch ist ein viel zu kleines Wort für das hier.
Das ist das Musikkonzentrat, was seit jener Zeit der Giganten auseinandergenommen und verdünnt wird. Nur ein winziges Quäntchen davon reicht, um einen neuen Musikstil zu begründen. Hier steckt alles drin. Vom Gesang zur Klampfe über härtesten Rock und gesangliche Brillanz bis zu elektronischen Klangmonumenten. Eins haben aber alle Kunstwerke hier gemein: Die Power darin.
Und es steckt selbst in so manchem Hiphop Song ein Stück Pink Floyd. Kaum einer kann sich da entziehen.
Und keine Frage: Das war das Beste was die Händelhalle je zu hören bekommen hat. Und wahrscheinlich zu hören bekommen wird.
(Für eventuelle Übertreibungen wird keine Haftung übernommen)