Der Unterschied zwischen mir und einem Verrückten besteht darin, dass ich nicht verrückt bin. Salvador Dali.
Wie qualifiziert muss man sein, um sich eine Bilderausstellung anzuschauen? Das frage ich mich immer wieder. Ab wann ist der Punkt erreicht, wo man mehr aus der Ausstellung mitnimmt als man vorher reingesteckt hat, um sie zu sehen? Natürlich sollte sich jeder so viel Kunst wie möglich ansehen. Aber macht das wirklich Sinn? Ich habe da so meine Vorstellungen, weil keinerlei Vorbildung.
Es gibt Bilder, wie Stillleben zum Beispiel, da braucht man kein Wissen dazu. Sowas habe ich bei Dali nicht gefunden.
Dann gibt es zum Beispiel das Bild “Thomas” von Dali, was mit bei Tristan und Isolde hing. Da fasst einer einem anderen in dessen Wunde. Natürlich wissen wir, bei dem Thomas handelt es sich um einen Typ, der Daten und Fakten haben will und nicht viel auf Dahergeplappertes und vage Vermutungen gibt – allerdings: Selig sind, die nicht sehen und doch glauben- Joh.20,29. Aber ohne dieses Vorwissen macht das Bild überhaupt keinen Sinn.
Dann muss man Symbole erkennen können, wie zum Beispiel bei “Stelldichein unter der Kiefer”, wo sogar ich die Ähnlichkeit zu Adam und Eva unter dem Baum der Erkenntnis erkannt habe.
Allerdings nützt einem dieses Wissen auch nicht immer was, da der Künstler sich die künstlerischen Freiheiten nimmt. Jesus hing eigentlich nicht am Kreuz, als Thomas seine Untersuchungen gemacht hat.
Als Dali mal in Halle ausgestellt wurde, war ich da mit meiner großen und damals einzigen Tochter, und die erklärte mir, dass ich die Bilder über die Göttliche Komödie nicht verstehen würde, da ich diese nicht kannte. Seitdem stand das Werk auf meiner Todo-Liste und ich fing eines Tages tatsächlich an, es zu lesen. Einer, der intelligent genug war, im DLF Fragen gestellt zu bekommen, sagte bei der Gelegenheit, er hätte nach wenigen Seiten kapituliert. Ich dagegen habe erst nach gefühlten 10 Jahren nach der Hälfte aufgegeben und mir dazu eine Menge Begründungen und Ausreden für mich ausgedacht. Aber von der Hälfte habe ich bestimmt die Hälfte verstanden. Einmal hatte ich die große Ehre, den wunderbaren und hochbegabten Hallenser Lyriker bzw. Schriftsteller Marco Organo (“Dorfschönheit”) persönlich kennenzulernen. Der sagte mir, er hätte die Göttliche Komödie an zwei Tagen durchgelesen. Ich starrte ihn fassungslos an, aber ihm glaube ich das.
Immerhin reichte in der Ausstellung jetzt mein Grundwissen, um die betreffenden Bilder zumindest ansatzweise zu verstehen. Nunja, eigentlich sind diese Motive Illustrationen zu dem entsprechenden Buch, und wenn man es gerade liest, versteht man natürlich schon mal einiges. Will man sie sich allerdings wirklich erarbeiten, bedarf es doch wesentlich mehr. Die folgenden Informationen habe ich dem Katalog zur Ausstellung entnommen:
Interessant sind schon mal die Techniken, mit denen Dali gearbeitet hat. Ich hatte keine Ahnung, wie viele es sind. Zum Beispiel wurde bei der Göttlichen Komödie der Holzstich angewendet. Ein Hochdruckverfahren, wo viele Holz”stempel” – Xylographien– zum Einsatz kommen, was den Motiven eine Art dritte Dimension verleiht. Für “Geizhälse und Verschwender” wurden bis zu 64 Einzelschritte durchgeführt. Für die gesamte Göttliche Komödie kamen über 3500 Xylographien zum Einsatz. Das ist nicht so nebenbei in einer kreativen Phase mal schnell mit dem Pinsel über die Leinwand. Verrückt war Dali auf keinen Fall, sondern hoch strukturiert bis ins allerkleinste Detail. Weitere Techniken waren Tiefdruckverfahren-Kaltnadelradierung, Radierung, Heliogravüren sowie Flachdruckverfahren-Lithographie. Er gräbt dann auch schon mal eine Bombe mit Nägeln ein und lässt sie explodieren, um die Nagelabdrücke auf Kupferplatten einzufangen.
Dann muss man sicherlich die Dali ”Codes” kennen. Die typischen langbeinige Elefanten (hab ich nicht in dieser Ausstellung gesehen) tragen meist Symbole der Macht und das Gewicht auf den dünnen Beinen erinnert an Schwerelosigkeit. Schubladen sind die Verstecke des Unbewussten im Sinne Siegmund Freuds. Was sich darin verbirgt liegt außerhalb unseres Kontrollbereiches, lässt sich jedoch aktualisieren. Ich zitiere Code Schnurrbart aus dem o.g. Katalog: Dalis markanter Schnurrbart ist als Reaktion auf die Lektüre des Friedrich Nietzsche entstanden: “Sogar im Schnurrbart wollte ich Nietzsche übertreffen! Meiner sollte nicht deprimierend, katastrophisch, erdrückt von Wagner-Musik und Nebel sein. Nein! Er sollte dünn, imperialistisch, ultrarationalistisch sein und in den Himmel zeigen wie der vertikale Mystizismus” (Dali). Ende Zitat. Ebenso interessant finde ich Telefone: Sie zeigen seinen Unmut gegenüber der neuen Technik sowie seinen Widerwillen gegenüber der Politik, da die Telefonkonferenzen 1938 die damals vorherrschenden weltpolitischen Krisen nicht lindern konnten. Dieses gesamtheitliche Querdenken und Abstrahieren zeigt mir die Genialität seines Geistes, was ihn zusammen mit den perfekt ausgearbeiteten Ausdrucksformen zum Genie macht. Zu den Ausdrucksformen zähle ich neben den Bildern natürlich seine Skulpturen und eben auch sein Äußeres und sein Auftreten. Und, wen wunderts, natürlich gehört zu einem ganzheitlichen genialen Künstler auch das Schreiben. Er hat zahlreiche Schriften, autobiographische Texte, Essays, Manifeste, Drehbücher, Gedichte und theoretische Abhandlungen geschrieben sowie eine vielbeachtete Autobiographie und er hat in New York eine eigene Zeitung herausgegeben. Beinahe wäre er auch Schauspieler geworden.
Will man die Bilder Dalis verstehen, muss man außerdem sehr genau hinschauen. In einem Liniengewirr, dass erstmal vielleicht einen simplen Gegenstand darstellt, finden sich immer irgendwelche Figuren, Gesichter oder diverse Körperteile oder eben Symbole. Dazu spielt er mit optischen Effekten, plant schon ein wie das menschliche Gehirn das Dargestellte wahrnimmt und führt es geschickt auf Irrwege. Er zeichnet eine ganze Illustration beinahe ohne abzusetzen mit einem Strich mit einer unvorstellbaren Leichtigkeit und Präzision. Seine Werke sind ungeheuer vielfältig und man spürt förmlich, dass sie aus seinem tiefsten Inneren kommen und heraus wollten. Man könnte meinen aus seinem Bauch, gesteuert von einem präzisen Kopf. Das Bauchdenken bezieht viel mehr Emotionen und Erfahrungen mit ein und ist deshalb wesentlich komplexer als Kopfdenken. Programmierer sind eher auf logisches Kopfdenken programmiert, sollten aber trotzdem auch ihr Bauchgefühl mit verwenden. Auch Mathematiker und Physiker sehen oft auch auf Schönheit ihrer Formeln. Andererseits gibt es Leute, die behaupten, nur mit dem Bauch und niemals logisch zu denken und erzielen dabei beachtlich präzise und logische Resultate. In der Kunst kommt wohl auch das eine ohne das andere nicht aus, und das über das ganze Anteilsspektrum. Bei den alten Meistern, die einfach nur exakt gemalt haben, vermisst man die Fantasie. Andere moderne Künstler sind in meinen Augen mit Verlaub einfach nur Spinner, aber längst nicht alle. Hier kommt es oft nicht so genau drauf an, ob der Baum da oder da ist oder mal was nicht ganz so korrekt. Man muss das Ganze auf sich einwirken lassen ohne nachzudenken. Das ist auch gut so. Dali mit seinen fließenden Uhren hätte ich in meiner Unwissenheit auch fast dahin gepackt. Klar, einige Bilder der Apokalypse zum Beispiel sprechen für sich, die kann man erstmal einfach einwirken lassen, aber trotzdem steckt hier in jedem Detail immer noch irgendwelche Logik, die es zu finden gilt, wenn man das will.
Es bedarf also schon einiger Kenntnisse und ganz sicher auch vielen Trainings im Hinschauen und Begreifen und Assoziieren, um einen tieferen Einblick in das Werk zu gelangen. Was ich hier mitnehmen konnte war ein kleiner Grundstein Wissen zum großen Mysterium Malerei und Kunst überhaupt sowie eine große Bewunderung für diesen genialen Künstler.
Referenz: Katalog: DALÍ – DIE AUSSTELLUNG AM POTSDAMER PLATZ; 1. Ausgabe 2018; ISBN 978-3-9820112-0-2; Dalí Berlin Ausstellungsbetriebs-GmbH