Vor über 20 Jahren, so 1998, kaufte ich mir ein Fahrrad in Ammendorf. Zuerst fuhr ich damit in der Gegend um Schwarzbach herum. Dann arbeitete ich in Stade und fuhr dort damit von meiner Wohnung zur Arbeit. Hier gingen die ersten Speichen kaputt und ich legte mir eine Hohlkammerfelge zu. Den Lenker hatte ich total verdreht, das war völlig unbequem, sah aber so bescheuert aus, dass es cool war. Ein vielleicht 8 jähriges Mädchen sprach mich darauf mal bei Kaufland an: „Ich sehe dich hier öfters. Aber mit deinem Lenker, das geht gar nicht! Nee, wie das aussieht. Das geht gar nicht!“ Und sie schüttelte völlig enttäuscht den Kopf.
Es ging dann im Laufe der Zeit immer mal wieder was kaputt. Nun könnte man meinen, die Qualität war vielleicht nicht so gut, aber ich weiß jetzt, was wirklich los war. Die Grundlagen dazu habe ich in einem Buch gefunden. Ich habe es während meiner Armeezeit in irgendeinem Nest in der Lausitz gekauft, als ich Kartoffeln für die Mannschaft holen war. Es fiel mir sofort ins Auge und ich musste es einfach mitnehmen. Es stellte sich dann heraus, dass es aus der westlichen Welt kam und von Harry Rowohlt aus dem Englischen übersetzt worden war. Am Anfang war es etwas holprig aber dann ließ mich die Begeisterung nicht mehr los. Ich konnte nicht fassen, dass es sowas in der Literatur überhaupt gab. Eigentlich hatte ich es für meinen Vater zum Geburtstag gekauft, aber der hat wohl den Inhalt nicht so richtig erfasst und es landete sehr schnell in einer verlassenen Ecke im Bücherregal. Ich hab es mir dann einfach wieder angeeignet. Ein Mitsoldat hatte es damals auch angefangen zu lesen und es sich voller Begeisterung sofort gekauft. Wir haben Tränen gelacht darüber während es die anderen überhaupt nicht verstanden haben. Es handelt sich um „Der dritte Polizist“ („The Third Policeman“) von Flan O’Brian.
Die Polizeistation in Irland hat z.B. von außen eine andere Form als von drin. Die zwei anwesenden Polizisten tuen allerlei skurrile Sachen. Der dritte wird vom Erzähler nie gesehen. Der eine Polizist hat mal eine kleine Truhe gebaut, die sehr schön war. Dann wusste er nicht, was würdig genug war, da rein gepackt zu werden. Also baute er eine weitere Truhe, die etwas kleiner war und in die erste reinpasste. Dann hatte er das selbe Problem wieder und er baute eine weitere usw. Am Ende waren es um die dreißig und die drei letzten waren so klein, dass der Erbauer sie selbst nie gesehen hat. Es gab eine unendlich dünne Nadel, die aber dann immer dicker wurde. In einem Haus waren Zimmer und Treppen in den Wänden, eine Art Parallelwelt. Und, worauf ich eigentlich hinaus wollte: Es gab viele Fahrräder. Bekannt war bereits, dass Reiter, die eine enge Beziehung zum Pferd aufgebaut hatten, sich merkwürdig benahmen, seltsame Sprünge machten und dass ihr Wortschatz sich einschränkte, während die Pferde immer intelligenter wurden. Das ließ sich wissenschaftlich mit dem Austausch von Molekülen erklären, der beim längeren Sitzkontakt auftrat. Nun wurde bemerkt, dass Fahrradfahrer sich merkwürdig mit dem Ellbogen an die Wand lehnten und Fahrräder von Liebespaaren, die man getrennt voneinander abgestellt hatte, nach einer Weile zusammen standen.
Nun fahre ich nicht soviel Rad, dass ich mich mit dem Ellbogen an die Wand lehnen möchte. Aber manches Verhalten von mir gibt mir manchmal schon Rätsel auf… Jedenfalls hatte ich immer mal so ein Paar persönliche Probleme, und dann ging immer was am Fahrrad kaputt. Das Fahrrad hat das Negative und ein Stück Persönlichkeit von mir absorbiert und mir von seiner Energie abgegeben. Das ist die eigentliche Wahrheit.
Als nun vor paar Wochen der Pedalarm abgebrochen war, nachdem sein Vorgänger einst durchbrach, war das ein Hilferuf, und ich habe ihn einfach nicht zur Kenntnis genommen. Alle rieten mir, mir doch mal ein neues Rad zuzulegen, aber der Fahrradschrauber hatte alles wieder toll gemacht und ich sah keine Notwendigkeit dafür. Vor kurzem fiel der Kettenschutz ab, und wieder dachte ich nur: Geht auch ohne. Es ist also das eine oder andere Teil mal getauscht worden, aber Rahmen, Gangschaltung (nicht die Ritzel), Gepäckträger und Bremsen (natürlich nicht die Backen) waren noch original. Und ich glaub auch Sattel und Klingel, weil der Sattel ziemlich kaputt war.
Letzten Freitag nun bemerkte ich plötzlich, dass das Schutzblech vorn schliff und ich konnte es mir einfach nicht erklären. Ich bog es hin und her- half nichts. Wenn ich abstieg war das Schleifen weg. Nunja, ich hab schon manchmal Sachen erlebt, die ich mir nicht erklären konnte. Am Montag war das Schleifen wieder da und wurde sogar etwas schlimmer. Ich hab zur Arbeit zwei Berge, die ich mal so richtig runter düsen kann, geschätzt über 40km/h. Schließlich muss man sie ja auch hoch fahren, da ist das nur recht und billig. Ich fuhr also zum Werk und ging durch das Drehtor. Dann will ich wieder aufsteigen und da passiert es: Die vordere Radgabel bricht einfach ab. Mir passiert nichts.
Was kann man da noch sagen. Ich fordere das Rad dauernd und putze es nicht. Und nimmt es mir das übel? Nein. Es trägt mich mit letzter Kraft bei 40 Sachen heil die Berge runter. Es schafft mich sogar noch bis ans Werkstor, damit ich das Morgenmeeting noch schaffe. Und dann, in dem Moment, wo wirklich nichts passieren kann, bricht es völlig erschöpft und kraftlos zusammen.