Nun sitze ich hier gemütlich im Pavillon. Im Teich plätschert der Brunnen und die Fische sonnen sich, die Rosen fangen langsam an zu blühen und die Sonne strahlt vom Himmel. Die Vögel singen ihre Arien, welche nun nicht wirklich nach Strauss klingen, es sei denn man klettert symphonisch durch die Alpen, aber mit viel Phantasie ist hier und da ein Beethoven zu hören. Ich denke der lange Part der Elektra ist dann doch etwas zu abstrakt für so einen kleinen Vogel.
Den sollte man sich dann doch lieber in Dessau anhören bzw. ansehen. Allerdings kommt es darauf an, wie weit einen das Strauss Fieber gepackt hat. Wo man bei der Alpensymphonie, dem Heldenleben und den Metamorphosen fröhlich bis frohlockend jauchzet, vielleicht auch noch bei den letzten vier Liedern, so kann man mit seinen Opern schon ein bisschen seine Schwierigkeiten haben. Salome und Elektra sind wohl die Bekanntesten und für mich auch die Abstraktesten. Musikalisch besser verständlich fand ich dann schon wieder Ariadne auf Naxos und den Rosenkavalier. Nichts desto trotz, Strauss Musik ist eine der Besten, die ich kenne und deshalb war ich sehr gespannt auf die Dessausche Inszenierung der Elektra.
Nicht nur, dass Strauss dort eine Hauptrolle spielte, sondern auch einer meiner liebsten Schriftsteller Hugo von Hofmannsthal. Sein Jedermann z.B. ist wohl eines der beliebtsten Stücke, schon weil die ersten Salzburger Festspiele 1920 (ein Kind Hofmannsthals und Strauss zusammen mit Reinhardt und Schalk) damit eröffnet wurden.
Diesmal kam noch ein weiterer Höhepunkt dazu in Dessau, denn diese Aufführung war die letzte der glorreichen Drei, sozusagen die Abschiedsrunde für Felsenstein, Berg und Rieckhoff. Konnte also vielleicht noch etwas Besonderes werden, auf alle Fälle erst mal das Ende einer langjährigen Opernära am Dessauer Theater. Herr Felsenstein hat es unglaubliche und für seinen Berufsstand ungewöhnliche 18 Jahre am Anhaltischen Theater ausgehalten, Herr Berg nur 8, was sicherlich eine große Bereicherung war. Aber irgendwann kommt eine Grenze, wo man denkt, jetzt muss mal etwas neues her und ich glaube, die Grenze war nun doch schon seit einiger Zeit erreicht. Ob das Neue gut ist, was da kommt, ist nicht sicher, aber auf alle Fälle wird es anders. Die neue Crew um Andrè Bücker und Antony Hermus stellten sich im April mit dem Spielplan 2009/ 2010 vor und das nun schon seit einiger Zeit zu habende neue Spielzeitheft im neuen peppigen Design verrät schon Interessantes zu neuen Konzepten. Alles sieht moderner und frischer aus, viele neue Namen sind zu lesen und alles scheint ein bisschen umgekrempelt. Es sieht so aus, als ob die moderne und frische Vorstellung des neuen Theaters zum Konzept der Stadt Dessau passt. Ich bin auf alle Fälle sehr gespannt, was mich da erwarten wird. Für die diesmalige Aufführung jedenfalls wusste ich, was mich erwarten würde und meine Erwartungen wurden auch diesbezüglich nicht enttäuscht. Die Inszenierung war eindeutig wieder ein Felsenstein. Feuer und Wasser auf düsterem Hintergrund stimmte einen schon auf eine wohl gut werdende Inszenierung der Elektra ein und das Mädel selbst…. ja, sehr passend zum Hintergrund. Eine sehr schöne Beschreibung dazu im Programmheft zur Oper „1908 entwarf Lovis Corinth die Umschlagsillustration für den Klavierauszug der Oper „Elektra“ und begründete die Wahl seines Motivs in einem Brief an Richard Strauss folgendermaßen: ‚Ich habe die Ermordung Agamemnons gewählt, die das Urmotiv zu der Tragödie ist. Nach meiner Meinung war es besser als irgendein fratzenschneidendes Weib zu bringen, das nur durch den Titel als Elektra gekennzeichnet werden könnte.'“*
Im diesmaligen Fall gab es keine so nette Umschlagsillustration. Wir begnügten uns mit der Totenmaske des Agamemnon, was den „missing Link“ zum Bühnenbild darstellte. Nein, kein „missing Link“, einfach nur eine gut überlegte Verbindung zum Bühnenbild. Sorry, ich musste diesen vielgeliebten Begriff in Anbetracht der aktuellen Umstände und mit einem Augenzwinkern diesbezüglich jetzt einfach mal hier unterbringen. Darwin gewinnt wieder einen Pluspunkt für seine Theorie, allerdings nur einen – es gibt ja auch nur einen Fund des „missing Links“ und Corinth bringts halt auch auf den Punkt mit seiner passenden Anmerkung zur Darstellung der Elektra. Viel besser hätte ich das jetzt nicht gekonnt. Frau KSs düstere Erscheinung („Ich war ein schwarzer Leichnam unter Lebenden“**) begleitete uns mit allerhand düsteren Gesichtsausdrücken durch den ganzen düsteren einzigen Akt der Oper. Schon passend, aber auch, wenn man mich jetzt sicherlich dafür vierteilen würde, muss ich sagen, ich war jedes Mal froh, wenn die anderen Akteure das Geschehen auflockerten. Nun weiß ich nicht, ob das an der Opernmusik von Strauss lag, oder an der Maske (Stefan Rieckhoff), oder an meinen persönlichen Empfindungen, oder aber an der Hauptdarstellerin (Iordanka Derilova, nun Kammersängerin), ich konnte mich nicht mit den Arien der Elektra anfreunden. Da ich den Text akustisch nicht verstand war es für mich wieder sehr anstrengend und ermüdend zuzuhören. Die „Auflockerungen“ allerdings, gefielen mir hervorragend. Beginnend mit den Erscheinungen der Schwester Chrysothemis (Maida Hundeling) und noch besser und wirklich überaus überragend der Einmarsch der Mutter Klytämnestra (Karin Goltz) mit ihrem Gefolge. Diese Szene war eine, wenn nicht die, absolut beste der Oper. Exzellent inszeniert und hervorragend durch alle Beteiligten dargestellt. Kristina Baran und Annette Ahlmann spielten phantastisch.
Karin Goltz war perfekt für diese Rolle und ihre Maske absolut zutreffend. Das war ein wunderbarer Felsensteinscher Geniestreich und genau das mochte ich immer an seinen Aufführen. Zwar immer irgendwie etwas altmodisch, aber das mit größter Perfektion und auf keinen Fall abwertend gemeint. Es gibt eigentlich viel zu wenige Aufführungen in diesem Stil. Es ist schade, dass sich alle immer an den aktuellen Trend halten, ob es dem Publikum gefällt oder nicht – aber sie sagen ja, sie lassen sich nicht vom Publikum knebeln, was ich nicht wirklich immer ganz glaube, denn… warum soviel nackte Haut in so manchen Stücken? Doch nicht, weil das künstlerisch hochwertig ist. Dann wäre ja Fernsehen der absolute und hochwertigste Kunstgenuss – ha!
Ein weiterer Höhepunkt war das Auftauchen des Bruders Orest (Ulf Paulsen) vor untergehender Sonne. Ja, das hatte was. Die ganze Szene gefiel mir sehr gut, auch die Interaktion zwischen den Beiden Gestalten auf der Bühne war hervorragend.
Der tot geglaubte Orest kam ins Spiel und brachte letztendlich zusammen mit seinem Pfleger (Nico Wouterse) den hier etwas albern dargestellten Nachfolger Agamemnons (Vincent Wolfsteiner), etwas plump zur Strecke.
Die albernen Darstellungen erinnern mich irgendwie immer an historische Aufführungen, vielleicht an Shakespeare und so manchen Händel. Das war die auflockernde Rolle für’s Volk, damit die zwischen dem Ernst des Stückes auch mal etwas zu lachen haben. Klappt immer und alle sind jedes Mal begeistert. Alter Trick, immer noch wirkungsvoll und in diesem Fall schon auch irgendwie passend, obwohl ich diese Eigenschaft nicht so recht aus dem Libretto herauslesen konnte. Ich war immer der Meinung, Aegisth war ein Tyrann, der die ihrem toten Vater betrauernde Tochter seiner neuen Frau auch nicht gerade sehr gut behandelte und dass letztendlich alle glücklich sind, als er tot ist.
Psychologisch hat das Stück sicherlich eine Menge Potential. Die ganze Zeit hindurch läuft Elektra dunkel und depressiv durch das Geschehen und schmiedet Rachepläne, steigert sich immer mehr in ihre Situation hinein und glaubt nur noch an Ausweglosigkeit. Als zum Schluss endlich das geschieht, was sie sich die ganze Zeit erhofft hat, tanzt sie sich zu Tode – hm. Verstehe da einer die Dichter. Sicherlich war Psychologie und Depression zu dieser Zeit IN. Wahrscheinlich war Freud nicht der einzige, der die Welt in den Bann zog und Dichter zu solchen Taten animierte.
Leider habe ich das Stück dazu, von Hugo von Hofmannsthal, noch nicht gesehen. Hätte gern mal verglichen ob sich das genauso depressiv durch das Geschehen zieht. Zum Schluss jedenfalls tanzt sie vor Glück und bricht erschöpft zusammen. In Felsensteins Interpretation geht das schneller, sie springt ins Feuer und verpufft darin. Nagut, das ist künstlerische Freiheit und hatte schon was. Theatralisch eben.
Und Herr Strauss hatte es eben mit Tänzen. Das war schon bei Salome so und musste bei Elektra auch sein und ich war sehr gespannt auf diesen Tanz. Dachte da ein bisschen an Sinnlichkeit und Eleganz, aber sollte wohl nicht so sein. Ist ja auch klar, wie soll das eine Frau in einem so verheerenden Zustand noch hinbekommen. Der Sprung ins Feuer ist jedenfalls hervorragend geglückt. Sicherlich nicht so einfach, mit dem Orchester in bedrohender Nähe.
Das Orchester hinter die Bühne zu setzen war hier auch eine passende Idee und machte ein sehr gutes Bühnenbild (Stefan Rieckhoff). Scheint jetzt öfter so zu sein im Anhaltischen Theater. Nur fand ich es quer nun doch ein bisschen ungewohnt. Erinnerte mich an die Orchesterempore im Gewandhaus und dort war der Klang für mich als Zuschauer schon etwas anders als wenn man ihn frontal genießen darf.
Da ich Elektra noch nie live als Oper erleben durfte bin ich mir hier nicht ganz sicher, ob das vielleicht ein bisschen klangliche Auswirkung auf den Zuschauersaal hatte. Es fiel mir jedenfalls schwer mich auf die Musik zu konzentrieren. Ich denke, irgendetwas ging mir verloren, denn sonst gefällt mir Strauss eigentlich besser. Aber ich hatte auch schon Schwierigkeiten bei „Salome“ in Dresden und denke somit Strauss Opern sind im Gegensatz zu seinen Tondichtungen nicht wirklich meine Musik. Nichts desto trotz, zu den langen Arien das Orchester und Golo Berg zu beobachten war auf alle Fälle sehr interessant und noch einmal: das Bühnenbild ist sehr gut gelungen und ich denke die Inszenierung ist es auch und war es wert für eine Abschiedsrunde der glorreichen Drei.
Eure Jana
*Programm zur Oper, Anhaltisches Theater Dessau, Spielzeit 2008/ 09, Heft 13; Redaktion und Gestaltung: Frank-Uwe Orbons
** Libretto zu Elektra; Opernführer http://www.opera-guide.ch/