“Wenn ich wirklich Corona bekommen sollte, dann gehöre ich garantiert zu denen, die es gar nicht bemerken!”
Ein Monat Corona
Dank eines Schneeeinbruchs und des daraus resultierenden Stromausfalls in den USA konnten Leute in Indien nicht auf bestimmten amerikanischen Server arbeiten und somit nicht ihre geplanten Sequenzen fertigstellen. Somit konnten die Sequenzen von unserem Team aus Deutschland, Frankreich, Tschechien und den USA nicht getestet werden und ich musste bei dem meist überzogenem vierstündigen Freitagsmeeting nicht die Simulation übernehmen. Das tat ich meist, da für den US-Kollegen, der das normalerweise tat, die meiste Zeit tiefe Nacht war. Das Ganze funktioniert wirklich gut und wir haben sogar Spaß dabei. Letztens wurden wir für unsere produktive Zusammenarbeit vom Projektleiter gelobt.
Jedenfalls aber heute keine Tests, und ich war heilfroh darüber. Es wurden andere Sachen reviewed.
Mir war schwindelig und ich fühlte mich einfach nur schlecht, fast durchgehend.
Das hatte sich bereits seit Dienstag irgendwie angekündigt. Gestern Abend hatte ich sogar etwas Fieber. Am Montag würde es mir besser gehen. Wir hatten für meine Eltern eingekauft und würden dies und das für sie erledigen. Ansonsten war aktuell in Schwarzbach ein gemütliches Backwochenende geplant mit Stollen am Samstag und Plätzchen am Sonntag. Die Außenarbeiten waren erledigt und ich war sehr stolz auf meinen neuen Kompost, den ich zuletzt gebaut hatte. Deshalb würde es mir bestimmt bald besser gehen.
Am Abend hatte ich weder Hunger noch Durst.
Ich war noch bei meinen Eltern gewesen, es ging ihnen nicht gut. Ich machte paar Handgriffe für sie und ging wieder. Wir wollten morgen weitersehen. Ich dachte mir, versuch doch mal einen Wermut, der ist wie Medizin und räumt auf im Magen. Das tat er nicht. Ich saß einfach nur da und fühlte mich schlecht. Hätte man mich gefragt, was denn schlecht wäre, ich hätte es nicht beantworten können. Es drehte und irgendwas fühlte sich falsch an. Das Drehen war jetzt nicht gerade angenehm, aber nicht die Ursache, sich so ausgesprochen schlecht zu fühlen. Corona – COVID-19? Naja, einiges spricht dafür, aber ich kann einwandfrei atmen und mein Husten von dieser Woche ging auch wieder weg. Meine liebe Frau machte mir Tee und, naja, irgendwie konnte ich den trinken. Wir sahen gemeinsam einen Film und sobald ich dazu auf dem Sofa lag ging es mir gut.
Am nächsten Morgen brachte ich zum Frühstück keinen Bissen herunter.
Nachts war ich erschrocken, wie dunkel mein Urin war, offensichtlich habe ich viel zu wenig getrunken. Nun ja, trinke ich eben mal was. Spaß macht das jetzt auch nicht. Ok, jetzt war ich einige Zeit auf den Beinen, wegen Frühstück und so, Zeit sich mal hinzulegen. Oh, tut das gut. Ich kann einfach nur daliegen und die Decke anstarren. Es gibt nichts Schöneres auf der Welt.
Später kümmern sich Jana und ich um meine Eltern. Ich lege mich nochmal hin aber jetzt geht es los mit dem Stollenbacken. Wir sind zu dritt in der Küche und es ist gemütlich. So war es geplant. Das Rezept, nach dem ich eingekauft hatte, war aus dem Internet verschwunden, aber ich fand ein anderes mit fast den identischen Mengen. Dresden und Thüringen scheinen doch nicht so weit auseinander zu liegen. Das Thüringer Rezept war mit einer Art Vorteig, was einen Sauerteig-brot-profi wie mich natürlich herausforderte.
Ok, jetzt die Zutaten zusammen holen. Man strengt das an.
Und die Waage. Und paar Gefäße zum Abwiegen und so. Was nehme ich denn da? Dieses? Oder lieber das? Wofür brauchte ich das nochmal? Ach ja. Der Vorteig. Aber vielleicht kann ich die sinnvoll nochmal verwenden für das andere Zeug. Egal jetzt, ich muss vorwärtskommen. Also was muss ich jetzt machen? Ach ja, den Vorteig. Jetzt aber. Irgendwie muss das Rezept eine Übersetzung sein, das Ganze ergibt keinen Sinn, was die da schreiben. Ich komme schon klar. Ich muss das eine einfach so und das andere so usw.
Ich habe es geschafft, der Vorteig ist fertig. Jetzt noch den Rest. Ich bekomme das hin. Nicht ablenken lassen. Und jetzt in den Ofen. Und fertig. Stand da was von einpinseln mit irgendwas? Ist mir scheißegal. Muss auch morgen noch gehen. Ich muss mich unbedingt hinlegen.
Ich sitz wieder in der Küche und meine Frau misst ständig bei mir Fieber.
Ich fühle mich sehr schlecht, irgendwas stimmt nicht. Genaugenommen habe ich mich noch nie in meinem Leben so schlecht gefühlt. Aber normalerweise gibt es doch irgendeinen Grund dafür, Escherich im Magen, Kopfschmerzen, Blasenentzündung, es gibt tausend Gründe. Auf mich traf kein einziger zu. Der Schwindel war nicht die Hauptursache. Es dreht aber immer schlimmer im Kopf. Als das Fieber die 40,1 übersteigt wird der Notdienst gerufen.
Das Fieber bekommen wir tatsächlich mit Wadenwickeln auf 39,4.
Der Blutdruck liegt bei 127 zu 80 oder so. Die Ärztin stellt ein paar Fragen, Hirnhautentzündung ist es nicht. Dann die Empfehlung zum Coronatest, möglich Sonntagvormittag in Chemnitz. Woran merkte man, dass man ins Krankenhaus muss? Blaue Lippen und akute Atemnot beim Schlafen. Das würde man dann schon merken. Früh war das Fieber weg und alles ging einigermaßen gut mit dem Test. Wieder zuhause wurde es immer schlimmer mit dem Schwindelgefühl. Ich legte mich hin. Als ich wieder aufstand und in die Küche laufen wollte hatte ich Flugzeugpropeller in meinem Kopf.
Was in aller Welt war das? Konnte ich laufen?
Ja, alles funktionierte. Ich sagte meinem Körper, er solle jetzt dahin und dahin und dann durch diese Tür gehen. Ok, hat funktioniert. Als ob ich mich selbst an einer Fernbedienung steuern würde. Und nun auf den Stuhl da. Mein Körper saß jetzt da und ich dachte, es müsste was getrunken werden, der Mund war total trocken. Aber da war doch gar kein Durst. Nimm dir das Glas und trinke Wasser. Ok. Ein kleiner Schluck und da war ein riesiger Druck im Magen. Er verschwand und das Wasser war akzeptiert. Weiter? Was? Warum? Das ist so unangenehm. Ok, ich werde das Glas schaffen. Meine Frau sprach mit dem Typen, der wohl ich war. Ich merkte, dass mein Gehirn arbeitete und ich hörte mich irgendwas antworten. Was in aller Welt war das?
Die Flugzeugpropeller hörten nur auf, wenn ich mich hinlegte.
Dann war ich auch wieder ich selbst. Am nächsten Morgen maß ich meinen Blutdruck. Liegen, keine Propeller, sitzen, Propeller. 105 zu 55. 98 zu 49 oder so. 110 zu 60. Ich trank etwas Kaffee, was mein Körper irgendwie akzeptiert hat. Er ging bis auf 127, aber die Propeller blieben. Vergiss den scheiß Blutdruck. Tagsüber liegen, das ging, zum Glück hat sich meine liebe Frau sehr um mich gekümmert. Das Fernsehprogramm ist tatsächlich irgendwie nicht für mich gemacht, aber Hauptsache Ruhe. Da kamen direkt Wohlfühlmomente auf. Man könnte ja lesen. Ok, Zeitung, naja eigentlich interessiert sie mich überhaupt nicht. Überschrift, und dann erster Absatz. Zweiter Absatz. Was habe ich da gerade gelesen? Nochmal. Häh, hab’s schon wieder nicht. Ok, eigentlich interessiert es mich alles nicht und wer soll so ein langes Ding lesen. Vergiss es!
Nach drei Tagen kam das Corona- Testergebnis: Bei meiner Frau und bei mir positiv, Tochter negativ.
Nachts wollte ich mich im Bett drehen, aber da war jetzt ständig dieses runde Ding in meiner Lunge. Ich konnte nur eine halbe Drehung machen, dann war dieses Ding da. Erst wenn es sich beruhigt hat konnte ich mich weiterdrehen. Was war das nun wieder? Ich musste mich unbedingt aufsetzen. Ich saß und musste atmen und atmen und atmen und fror entsetzlich. Nach kurzer Zeit hatte ich genug Kraft, mir die Decke um die Schulter zu legen. Das tat gut. Natürlich hatte meine Frau das mitbekommen und sorgte sich. Wie schon die ganze Zeit ob meiner merkwürdigen Geräusche im Schlaf.
Wie so oft fragte sie mich, ob sie die SMH holen sollte.
Sie konnte nachts nur wenig schlafen, weil sie ständig in Angst lebte und sich große Sorgen machte. Wie immer erklärte ich, mein Zustand wäre nicht lebensbedrohlich, und so fühlte er sich auch nicht an. Jetzt horchte ich in mich rein, ob ich denn nicht Durst hätte. Naja, irgendwie war da was das sich so ähnlich anfühlte. Ich trank. Es ging tatsächlich ohne Probleme. Wenigstens kann ich wieder trinken. So, jetzt müsste doch dieses super angenehme Gefühl kommen. Nichts da. Egal. Ich muss einfach dran denken, bei jeder Gelegenheit zu trinken. Ich habe bis morgens tatsächlich fast 1,5 Liter geschafft und der Mund war nicht mehr so trocken.
Irgendwann nach paar Tagen waren die Propeller weg und es war mir wieder nur normal schwindlig.
Trotzdem beobachtete ich mich immer, was ich gerade tat, als wäre ich nicht in meinem Körper. Ich litt jetzt unter Kurzatmigkeit. Irgendwie war mir das mit den Propellern gar nicht so aufgefallen, aber klar, in der Nacht hatte ich das ja auch. Die Luft war während dem Laufen plötzlich alle und ich musste mir schnellstens was zum Hinsetzen suchen. Wenn ich von der Schlafstube in das Bad will, muss ich durch die Küche. Diese Architektur ist sicherlich etwas ungewöhnlich. Das hat sich vor etlichen Jahren mal irgend so ein nerdiger Typ ausgedacht, dem es irgendwie scheißegal war wie es die anderen machen. Bis heute finden es aber immer noch alle toll. Jedenfalls hat meine Frau festgelegt, dass ich in der Küche Pause zu machen habe!
Dazu steht da ein Hocker zum Luftholen.
Und da hat es auch funktioniert. Ich wusste genau, was ich konnte und wann ich Luft holen musste. So kam ich ganz gut über die Runden. Da ich nicht immer nur rumliegen wollte saß ich täglich eine Weile in der Küche, das war nach wie vor unangenehm, aber ich zwang mich so lange es ging, schon wegen meiner Frau.
Eines Morgens nahm ich mir vor, mich zu duschen. Was sollte schon dabei sein, einen Moment stehen, das schaffe ich doch. Ich ging in die laufende Dusche und seifte mich kurz ein, da wurde bereits nach einigen Sekunden die Luft alle. Was jetzt? Du musst raus. Ich ging zur Wanne und stützte mich am Rand ab. Gedächtnislücke. Es wurde nicht besser. Warum legst du dich nicht einfach auf den Boden? Nein das geht irgendwie nicht. Mhm. Ich bin nass, ich muss mich abtrocknen. Und anziehen. Die Sachen sind da drüben. Du kannst dich nicht nass anziehen. Das Badetuch ist gleich neben dir.
Mir will es immer wieder schwarz vor Augen werden.
Eine Scheißidee mit dem Duschen, so eine Scheißidee. Also was jetzt, schaffst du es an das Badetuch? Ja, ich konnte zumindest einige Teile abtrocknen. Bis ich bei den Sachen wäre würde der Rest sowieso trocknen. Ich ging einen Schritt oder so (Gedächtnislücke) und saß plötzlich auf den Wannenrand. Laufen war zu anstrengend. Dort sind die Sachen. Oh Scheiße, jetzt habe ich mich gerade noch am Wannenrand abgefangen. Was war da? Bin ich eingeschlafen, oder war ich bewusstlos? Ich setzte mich auf die geschlossene Toilette. Jetzt hatte ich es geschafft. Offenbar brauchte ich weniger Sauerstoff als mein Körper bereitstellen konnte. Geschafft!
Geht das nie mehr weg? Wird das nie mehr besser?
Es ist einfach kein Fortschritt erkennbar, außer dass die Propeller weg waren. Das Fieber war unter Kontrolle, wichtig für meine Frau, mir scheißegal. Manchmal habe ich bei Fieber Aspirin Complex getrunken, das hat sehr gutgetan. Ich würde dann auch gleich viel ruhiger atmen, wurde mir gesagt.
Ich konnte mich nicht mehr um meine Tochter kümmern und war mir sicher, dass ich ihr inzwischen völlig egal war. Dann zeigte sie mir eine Legokonstruktion, die sie sich ausgedacht hatte. Ich war überglücklich.
Ich hatte keinerlei Durst und keinen Hunger.
Anfangs habe ich mich hinterher manchmal etwas besser gefühlt, wenn ich mir auf Bitten meiner Frau zum Abendbrot was reingequält habe. Jetzt klappte es mit dem Essen, es gab keine Probleme, aber ich hatte absolut keinen Hunger, mit wenigen Ausnahmen. Es roch gut und ich bekam tatsächlich etwas Appetit. Meinem Körper schien es ansonsten völlig egal zu sein, ob ich was gegessen hatte oder nicht. Allerdings hatte ich beim gemeinsamen Fernsehen auch mal kurz Appetit auf was Süßes. Ach ja, und überhaupt:
Wie ist es denn mit Geruchs- und Geschmackssinn?
Irgendwann habe ich mal festgestellt, dass ich irgendwas nicht rieche und manches hat irgendwie fade geschmeckt. Spielt das irgendeine Geige? Nein. Völlig egal. Außer einmal, da wollte ich mein über alles geliebtes eisgekühltes Spice Ginger genießen. Kohlensäure machte mir ja schließlich nichts aus. Ich freute mich total. Und dann? Zuckerwasser. Ich kann genauso gut weiter Leitungswasser trinken.
Eines Morgens, über eine Woche nach dem Coronatest, fühlte ich mich plötzlich besser.
Ich konnte langsam größere Strecken und sogar eine Treppe laufen, ich hatte sogar etwas Energie. Ich wollte nicht mehr nur rumliegen und fing an, kleine Sachen zu erledigen. Es drehte nach wie vor in meinem Kopf doch ich hatte vergessen, wie sich normal anfühlt. Trotzdem dachte ich besorgt, ob das denn nie aufhört und ich jemals wieder arbeiten kann. Die nächste Nacht wachte ich auf und hatte das erste Mal wieder Durst. Was für ein tolles Gefühl!
Eine Woche später gab es dann kurze Momente, wo es nicht mehr drehte und ich mich völlig normal fühlte, wenn ich saß.
Als ich Heiligabend drei Treppen hintereinander zu bewältigen hatte, musste ich zwischendurch Pause machen und war hinterher völlig fertig. Seit dem letzten Fortschritt vor anderthalb Wochen hatte sich an meiner Atemnot nichts gebessert. Bald musste ich wieder arbeiten, wie sollte das gehen?
Tatsächlich besserte sich mein Zustand aber und ich war gerade rechtzeitig wieder arbeitsfähig.
Weitere zehn Tage später ist wieder alles recht normal,
obwohl die Energie immer noch fehlt. Die Atemnot bessert sich nur sehr sehr langsam.
Zwei Wochen vorher hatte ich einen Anruf von einer Bekannten bekommen. Die erklärte mir, wie schlecht der Staat ist und dass die Leute, die sich jetzt trauen, mal die Wahrheit über Corona zu erzählen, bald weggesperrt werden. Und wenn man sich nur abhärtet und immer Vitamin D nimmt bekommt man kein Corona! Hätte ich das nur eher gewusst!