Nils Landgren und Friends

Schon wieder hochkarätige Namen. Nils Landgren, der Artist in Residence 2009. Und das in einer Fabrikhalle. Noch vor einigen Jahren war für mich eine Fabrikhalle ein Ort, der laut und schmutzig ist, wo man sich nur drin aufhält um Geld zu verdienen. Niemals freiwillig und schon gar nicht gern.

Jetzt, wo sich erst mal genügend Abstand zwischen Arbeit und Schmutz befindet, betritt man sie mit einem wohligen Kribbeln.

Elbewerk 2009

Der Aufzug, durch den man in die Halle gelangt, befördert einen in eine andere Ebene, ohne sich zu bewegen. Die Halle war selbstverständlich sauber und voll mit technischen Details, zum großen Teil museumsreif. Die Elektroinstallation war hier noch zelebriert worden, ordentliche Arbeit bis ins Detail.

In der heutigen Zeit zählt Effektivität, das bedeutet, schnell Kabel rein und hinter einer Wand verschwinden lassen. Natürlich ist das bei der Menge der nötigen Kabel in der heutigen Zeit mit vertretbarem Aufwand gar nicht mehr anders möglich. Umso mehr beeindruckt die solide Handarbeit, die man eigentlich heute nur noch in der Kunst findet. Und genau deshalb waren wir heute hier, wegen der Kunst. 

Eigene Fotos sind natürlich tabu. Die Künstler hatten sich offenbar im Meisterbüro die Treppe hoch eingerichtet, von wo dieser seine Leute immer im Blick hatte.

Dann kam einer runter mit einer roten Posaune und legte los. Das war schon recht beeindruckend. Am Trichter der Posaune war ein Mikrofon angebracht und über ein Kabel mit einem Gerät verbunden, sicherlich ein Sender, an der Stelle im Bogen der Posaune, wo manche ein Quartventil haben, diese demzufolge nicht. Wahrscheinlich wird dieses Quartventil, das in Posaunenchören den Posaunisten die Arbeit bei den tiefen Tönen erleichtert, von den Profis als qualitätsmindernd angesehen. Die Luft muss ja dann durch viele Windungen und bekommt Wirbel. Und gerade das Besondere bei der Posaune ist ja das gerade Rohr, nur durch zwei unbedingt notwendige Bögen unterbrochen, was diesen strahlenden Ton bringt. Man hörte allerdings bei Nils Landgren manchmal Nebenluft ins Mikrofon rauschen, was ich zuerst auf die Position des Mikrofons direkt am Trichter schob, dann kurz auf schlechten Ansatz, den Gedanken sofort verwarf, und eigentlich erst später feststellte, dass Nils L. das ganz bewusst tat, um eben noch paar Nebeneffekte zu erzielen. 

Nils Landgren - Kurt Weill Fest 2009
Nils Landgren – Kurt Weill Fest 2009

Das erste Stück waren kurz zusammengefasste Themen von Kurt Weill, wie wir hinterher erfuhren. Es kam eine Gitarre dazu, Johan Norberg, und es wurde seicht dahinmusiziert, sehr professionell und medienorientiert. Es wurden unter anderem „All The Lonely People“ nach den Beatles nun von Nils Landgren besungen. Die Posaune kam da kaum zum Einsatz.

Ja, die einsamen Leute, das geht einem schon ans Herz, und die Beatles sind ja immer eine sichere Hausnummer.

Es gab einen Titel von Marvin Gaye, da waren dann inzwischen auch Flügel mit Sebastian Studnitzky, Bass mit Eva Kruse und Schlagzeug durch Wolfgang Haffner besetzt, die irgendwann alle einzeln hinzukamen. Sehr rhythmisch und kommerziell, das brachte einen schon in Stimmung. Ab und zu hörte man sogar die Posaune, das war wirklich nicht schlecht. Doch was war das? Es begann die Dame am Bass, alles hielt den Atem an. Die anderen Instrumente kamen nach und nach hinzu und nun erkannte ich es, es war ein Song von Sting. Von nun an ging es richtig ab, ich war total begeistert. Das war die Musik, die ich erhofft hatte, das ging los.

Bedauerlicher – und unverständlicherweise war kein Foto von der schwangeren Eva Kruse am Bass von diesem Konzert verfügbar, die doch so einen gewaltigen Anteil beigetragen hatte. Ihr Nachwuchs jedenfalls kann sich über fehlenden Bass – Sound nicht beschweren. Und der war wirklich vom Feinsten. 

Es wurde ein weiterer Gast angekündigt, in Schweden sehr populär und unter anderem auch in Sachen Pop unterwegs, nämlich Nina Ramsby. Ihre Frisur erinnerte an Sinead O’Connor, nämlich kurzer Igel, und die Kleidung an – niemand besonderen, ich hatte z.B. auch schon mal eine weiße schlumprige Hose an und ein weißes schlumpriges T-Shirt dazu. Für mich versprach die Erscheinung sofort Qualität.  

Nina Ramsby

Mit der Kleidung ist das ein wenig wie mit den Autos. Nichts gegen gut angezogene Leute, und nichts gegen tolle Autos. Interessant ist allerdings manchmal, welche Leute was fahren. Klar gibt es fähige Leute, die gut verdienen, und sich ein entsprechend luxuriöses Auto zulegen, das ist ja ein Stück Lebensqualität. Aber immer öfter bemerkt man, dass die auffällig großen Wagen meist von den Leuten gefahren werden, die kein Studium absolviert haben, ohne jetzt aber deren Leistung schmälern zu wollen. Die Ingenieure bevorzugen in der Regel die kleineren, so etwa Golfklasse. Ich persönlich konnte mein Auto ebenfalls nicht unbedingt als Lockmittel für das andere Geschlecht einsetzen. 

Wenn aber nun jemand auf die Bühne kommt und so – nun ich möchte es mal als auffällig unauffällig bezeichnen – gekleidet ist, der muss ein gesundes Selbstbewusstsein haben, und in dieser Bühnengesellschaft wohl auch mit Berechtigung. Die Dame trat auch sogleich sehr selbstsicher ans Mikrofon, versuchte sich ein wenig in Deutsch, und war von nun an die Chefin. Sie entfaltete eine großartige und vielseitige Stimme und machte etwas poppigen Jazz, alles ein wenig schräg und von sehr hoher Qualität. Das war höchst hörenswert. Sie sang unter anderem eine weitere Fassung von Speak Low, das wir zuvor schon mal in einer völlig anderen Variante ohne Gesang gehört hatten. 

Sie hatte wirklich alles unter Kontrolle und erinnerte mich in ihrer Eigenwilligkeit, Vielseitigkeit und Schrägheit irgendwie an Björk. Sie erschien dann sogar mal ein wenig aufgeregt, als sie plötzlich eine Trompete in der Hand hatte. Wieder eine neue Seite, dabei spielt sie eigentlich noch viel mehr Instrumente. 

Nils Landgren war bis zu diesem Zeitpunkt fast vollständig in den Hintergrund getreten, was auch für seinen großartigen Charakter spricht. Sie spielte dann auf der Trompete los und hatte einen wirklich guten Klang, überaus hörenswert. Dann übergab sie nahtlos an die Rote Posaune, die das Stück fortsetzte. Das war gelungen. Ich hatte mir an dieser Stelle gewünscht, die beiden würden ein kurzes Stück zusammen spielen, das wäre an der Stelle so passend gewesen, doch das wurde uns leider verwehrt. Schade. 

Die Musiker stellten sich dann alle noch mal vor, ich stand da allerdings wohl doch noch zu sehr unter dem Eindruck des Vorabends bei Friedhelm Schönfeld. 

Der Höhepunkt jedoch war ein Lied von Nina R. in schwedischer Sprache, was wieder mal leise begann und sich bis ins Unermessliche steigerte. Alle Instrumente voll in Aktion, meisterhaft virtuos, dazu die wunderbare Gesangsstimme, dieses Stück allein wäre es wert gewesen, das Konzert zu besuchen. Es gab am Ende ein furioses Durcheinander der Klangbilder, höchst dramatisch, bis die Sängerin, von einem „Rosenblad“ singend, auf der Bühne offenbar „verstarb“. Das war einfach grandios! Klasse.  

Am Ende des Konzertes mussten alle aufstehen und mitmachen, da war Stimmung und die war echt. Das Konzert hatte sich doch noch wirklich toll entwickelt, es war rund und professionell. Nur die Rote Posaune kam etwas zu kurz, doch die konnte man an anderer Stelle noch hören. 

Thomas