In der letzten Woche wurde für mich manches Gute schlecht und manches Schlechte schlimm. Es gab Enttäuschungen, Missverständnisse und ungeplante Ereignisse. Ich war gestresst und auch mal überfordert. Ich konnte mal nicht raus aus meiner Haut und musste es aber dann doch. Doch es war nicht alles schlecht. <**ps. Download der Videoschnipselchen dauert ein bisschen, aber Ihr wolltet doch sowieso entschleunigen, oder? …..>
Es gab auch spontane unerwartete Hilfe und man hat sich um mich gesorgt. Das hat sehr geholfen. Und eigentlich ist es am Ende gar nicht so übel gelaufen und ich habe neue interessante Leute aus der ganzen Welt kennengelernt, die mich mit höchstem Respekt behandelt haben. Alles in allem, es war eine Menge Holz, das ich erstmal verarbeiten muss.
Dazu geht man am Besten nach Leipzig ins Haus Auensee zu einem Bilderbuchkonzert.
Es war schon draußen eine sehr angenehme Atmosphäre mit interessant anzuschauenden Menschen, Würstchen und – einem Bierstand. Das Wernesgrüner, seit 29 Jahren eigentlich nichts Besonderes mehr, machte einen guten Anfang bei der Informationsevaluierung in meinem Kopf und ich konnte auch wieder mal lachen. Und es weckte Erinnerungen an meine Zeit im Vogtland, z.B. dass das Biermännchen am Brauereischornstein seitenverkehrt war (keine Ahnung ob es da noch ist, und keine Ahnung ob es das noch gibt) und etwas verschwommenere an die Brauereikneipe.
Wenn man ins Haus Auensee reinkam sah man das Mischpult, ohne angeberische Motive der letzten Platte als Hintergrundbild auf den Monitoren, und mehr Bierstände ;<).
Dann dieses leuchtende Schild “Music made by humans”.
Hat man sich weiter umgeschaut, sah man, dass offensichtlich nicht nur die Musik, sondern das ganze Bühnenbild von geistreichen fantasievollen Menschen gemacht war. Besonders lustig fand ich einen Schwarzweissmonitor mit einer Winkekatze. Ich wollte ausrechnen, wie oft sie wohl schon gewunken hat, seit wir drin waren, hatte aber beim Eintritt nicht auf die Uhr geschaut. Jedenfalls brauchte sie für zehn Mal winken 11.88s.
Heutzutage hat man ja eine Stoppuhr praktisch immer bei sich. Wäre mal interessant, welche Werte die anderen so ermittelt haben. Übrigens hat die Mieze während des Abends tatsächlich mal den Dienst aufgegeben. Vielleicht ist sie dabei gescheitert, sich an den Rhythmus der Musik anzupassen, oder es war ihr zu laut. Achtung Spoiler: Nicht nur die Musiker waren laut. Am Ende winkte sie aber wieder. Einfach bewundernswert. Ich liebe diese Katzen. So ein Überlebenswillen.
Was war da noch so? Den riesigen Kühlschrank hab ich erst gar nicht gesehen, keine Ahnung ob der schon da war. Ja, da war so eine Treppe, die ans Flugzeug zum Ein- und Aussteigen rangeschoben wird mit der Aufschrift “Love” und einem Flugzeugsymbol. Irgendwann denke ich mal über die Bedeutung nach, was die da wohl auf der Bühne macht, aber sie hat mir sehr gut gefallen. Gerade hatten wir uns draußen darüber unterhalten, dass wir mal in Ffm pünktlich gelandet sind und glaubten, uns ausnahmsweise mal keine Gedanken um den Anschlussflug machen zu müssen. Die Flugsteige für London und Leipzig liegen nicht gerade nebeneinander. Offenbar geht’s nicht nach Alphabet.
Jedenfalls haben wir dann noch eine halbe Stunde gewartet, weil sie diese Treppe nicht an den Flieger bekommen haben. Am Ende sind wir dann zur anderen Tür hinten raus. Ja wir haben den Anschluss noch geschafft.
Also was war da noch auf der Bühne? Ein riesengroßer Wasserhahn. Selbstverständlich, jeder hat doch heutzutage einen Wasserhahn auf der Bühne. Hat mir auch sehr gut gefallen. Und drei leuchtende Globen standen da herum. Haben die was mit der Treppe zu tun? Um die Erde fliegen? Aber warum drei? Jedenfalls waren sie sehr schön anzusehen. Und dann war diese ganze Wand vielleicht drei mal drei Meter mit Ventilatoren. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass die auch eine praktische Bedeutung hatten. Aber als sie liefen und sich dann asynchron hin und her bewegten schienen sie irgendwie lebendig zu sein und ziemlich lustig.
Dann war da noch ein ziemlich großer Saturn, paar Sterne und zwei Schlagzeuge hoch oben. Zwei Schlagzeuge finde ich absolut cool. Dachte gar nicht, dass Bilderbuch so viel Wert darauf legt.
Nach zwei Berliner Mädels, Norris oder Maurice oder so, hab’s nicht genau verstanden, die paar Platten aufgelegt haben, recht interessant, aber zumindest für mich nichts für den ganzen Abend, kamen dann Techniker. Sie räumten die Technik der Mädels weg und brachten Gitarren. Diese wurden dann noch gestimmt. Dabei schaute der stimmende Mann immer auf den Boden, ich nehme an er hatte da ein Gerät, dass die Tonhöhe genau anzeigt. Möglicherweise hatten die Gitarrensaiten aber noch nicht die Umgebungstemperatur erreicht, denn später hat der Leadgitarrist seine nochmal nachgestimmt. Oder er macht es vielleicht immer selbst.
Naja, irgendwann, die Katze hatte seit dem Einlass um 19:00 6061 Mal gewunken, kamen die Musiker auf die Bühne. Es waren allerdings fünf, sicherlich ist da jetzt einer mehr wegen dem zweiten Schlagzeug. Sie lächelten und hatten sofort alle Sympathien.
Sie legten los, das Lied (Maurice Ernst sagte immer “Lied” und nie “Song”, das machte ihn gleich noch viel sympathischer) fing Bilderbuchisch schräg etwas sperrig an, aber ich fand schnell den Faden und es gefiel mir immer besser. Zum Ende hin wurde es saustark. Mit etwas Grausen dachte ich an Europa 22, wenn das gespielt wird, und das wird es sicher, da werden sie wahrscheinlich von mir Minuspunkte bekommen, das war doch etwas zu selbstbewusst. Naja es ging weiter, die Stimmung stieg beachtlich. Und dann bald kam, was kommen musste: Bungalow. Der Saal bebte und tobte. Ich dachte immer, wegen meines methusalemischen Alters könnte mich so eine Stimmung nicht mehr erfassen. Ich hatte das gedacht und wurde eines Besseren belehrt.
Alles bei ihnen ist ein Gesamtkunstwerk und in sich stimmig. Da werden nicht verschiedene Phrasen per Zufall zusammengewürfelt, da ist jeder Teil ein Abbild vom Ganzen, so wie jede Zelle die gesamte DNS enthält. Dabei wird das gesamte Spektrum der musikalischen Möglichkeiten benutzt, da ist Pink Floyd rauszuhören und dann ein Rock’n Roll und alles auf Bilderbuchisch. Maurice Ernst lebt seine Musik, seine Bewegungen, Gesten, Stimme, Gesichtsausdrücke, alles ergibt eine Einheit und er bringt das mit einer ungeheuer starken Persönlichkeit rüber. Ich weiß, dass auch seine Texte gut sind, hab aber Probleme, sie überhaupt zu verstehen und wenn ich sie verstehe dann fehlt mir das Verständnis für den Sinn dahinter. Ich hab da mal im Spiegel einen Artikel über seine Texte gelesen. Ich wäre nie auf das gekommen, was da reingedeutet wurde. Aber das ist ok, denn die Musik steht allein schon für sich selbst. Trotz ihres jungen Alters haben sie die Professionalität und das Können der “alten Schule”, wie ich es mal nennen möchte. Sie haben Gitarren ohne Strippen und können sich somit frei auf der Bühne bewegen, was sie dann auch tun. Sie spielen Soli wie man das von früher kennt, und da stimmt einfach alles.
Und dann kam (vor den erwähnten Soli) natürlich auch Europa 22. Der erste Teil, absolut super, aber dann kam der zweite, ruhige. Und da habe ich ihn verstanden. Ich kann nicht sagen wie und was, aber das ruhige ist tatsächlich nur die Oberfläche von etwas total Starkem, was im Kopf weitergeht. Ich war hin und weg, hatte aber den Eindruck, die anderen hätten das nicht so verstanden wie ich. Für mich war das der absolute Höhepunkt des Abends, wenn nicht ihres Ganzen Schaffens, jedenfalls in diesem Moment. Möglicherweise muss man das wirklich live hören, um das zu verstehen, aber das war zweifellos eine der Besten Sachen die ich in meinem Leben gehört hab.
Das Konzert ging weiter, war einfach nur super in jeder Beziehung. Ja, und dann kam natürlich noch Maschin. Die Masse hat getobt, was soll man da noch sagen.
Ein “Ich will die Arme sehn”, um Stimmung zu schaffen wäre hier völlig unangebracht und überflüssig gewesen.
Erwähnt werden müssen auf jeden Fall noch die Showeffekte. Angefangen beim Licht. Gleich zu Beginn fuhren an der Rückwand diese viereckigen Scheinwerfer hoch, die in allen möglichen oder vielleicht auch nur einigen Farben wahnsinnig grelles Licht erzeugen. Sie blitzten punktgenau mal gelb, mal weiß oder sonstwas und bildeten auch mal Muster und fuhren hoch und runter. An einer Stelle, einem musikalischen Höhepunkt, leuchteten alle gleichzeitig volles Rohr, das war einfach Boah. Überall sah man plötzlich Strahler mit verschiedenen Effekten, die immer genauso ins Gesamtkonzept passten wie jede Phase der Musik und jede Bewegung der Musiker, besonders des Frontmannes. Da war nichts sinnlos übertrieben, höchstens sinnvoll. Aus dem Refrigerator kam dann mal Kältedampf, viele viele Herzen wurden geregnet, das Wasser vom Wasserhahn bewegte sich in allen Farben hoch und runter.
Der Abend hat alle meine Erwartungen bei Weitem übertroffen. Da haben welche ein Konzept, und das setzen sie kompromisslos durch und haben damit Erfolg. Und sie sind brillant. Das gibt es selten, und ich gönne ihnen den Ruhm. Und sie sind sympathisch.
Maurice Ernsts Zwischenkommentare allein sind schon kleine Kunstwerke.
Er scheut sich nicht, von den Massen auf den Händen durchgereicht zu werden. Als dann die Verkabelung unter dem Hemd hinüber war wurde sie repariert mit dem Kommentar: Was wäre das Leben ohne Probleme und es ist doch der Sinn, sie zu lösen. Ich weiß bis jetzt nicht, was er mit seiner Frisbeescheibe eigentlich meint, aber wir haben jetzt eine.