13. Februar 1945: Künstler aus Dresden und Leipzig stehen auf der Bühne des Dorfgasthofes Kirbach in Leutenhain

Kulturspalte
Die Schwarzbacher Kirche samt Kirchschule (inzwischen abgerissen) mit Keller und Scheune Bleistiftzeichnung Max Elten, Februar 1945

Für die Dörfer Schwarzbach und Leutenhain ist der 13. Februar 1945 mit einem besonderen Ereignis verbunden. Am selben Abend, an dem der Fliegerangriff auf Dresden erfolgte, standen namhafte Künstler der Dresdner und Leipziger Theater, Opern und Orchester auf der Bühne des Dorfgasthofes Kirbach in Leutenhain. Sie waren als Soldaten der Kraftfahr – Ausbildungs – Abteilung 4 aus Grimma hierher gekommen, um in einer mehrtägigen Abschlussübung ihre Rekrutenzeit abzuschließen. Sie gehörten zur „letzten Reserve“, die das Naziregime neben dem Volkssturm und der Hitlerjugend für den Kampf gegen den Kriegsgegner aufbieten konnte.

Die Mehrzahl dieser Männer waren im Zivilleben Künstler (Schauspieler, Opernsänger, Kapellmeister, Orchestermusiker, Bühnenbildner) sowie Wissenschaftler und andere bis dahin uk (unabkömmlich) gestellte Männer aus Leipzig, Dresden und Umgebung. Im Schnellverfahren waren sie zu Soldaten gemacht worden und sollten in diesen Februartagen ihr Können erproben. Die Führung der Truppe lag bei reaktivierten Reserveoffizieren, die schon am 1. Weltkrieg teilgenommen hatten, die militärische Grundausbildung der Rekruten bei meist schon älteren oder gerade wieder von einer Verwundung genesenen Unteroffizieren.  Chef der Abteilung war ein Major Kabel, die Übung selbst wurde von Hauptmann Schilde, im Zivilberuf Diplomingenieur und Dozent an der Technischen Hochschule in Dresden, geleitet.

Zu der Truppe gehörte als Unteroffizier und Ausbilder auch der Pfarrer des Kirchspieles Schwarzbach, deshalb fand die Übung hier statt, ihm hatte Hauptmann Schilde das Quartiermachen bei den Bauern des Dorfes übertragen. Wie stark die Truppe war, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Die Dorfbewohner nahmen die Soldaten gastfrei auf, der Kontakt zu so hochrangigen Künstlern war ja etwas ganz besonderes und zudem ein Lichtblick in der Katastrophenstimmung, die sich angesichts der bevorstehenden Niederlage überall ausgebreitet hatte. Die unheimliche Gefahr vom Osten rückte jeden Tag näher und näher, die Angst vor der Sowjetarmee war groß. Da lenkte der Umgang mit dieser besonderen Truppe für ein paar Tage von den Sorgen ab, der Krieg rückte für kurze Zeit in den Hintergrund.

Die Soldaten waren ihrerseits von dem abseits gelegenen Dorf Schwarzbach, seinen Bewohnern und dem Landleben, dessen Rhythmus in dieser Jahreszeit von dem Vieh im Stall bestimmt wurde, begeistert. Es versetzte sie in eine andere, für viele von ihnen fremde Welt, auch sie konnten so für Stunden ihre Sorgen verdrängen. Dorfbewohner und Soldaten gingen geradezu freundschaftlich miteinander um, nach dem Kriege war das Dorf für einige der nun ehemaligen Soldaten dann auch ein Ort, wo so manches zusätzliche Nahrungsmittel beschafft werden konnte.

 Im Dorf lebten neben den vielen Ausgebombten auch schon die ersten Flüchtlinge aus Ostpreußen und Oberschlesien. Von letzteren hatte man erfahren, wie schwach der deutsche Widerstand inzwischen geworden war. Alle wussten, dass da eine so schlecht ausgebildete und ausgerüstete Truppe wie die der Künstler – Soldaten nichts ausrichten konnte, das Ende war nicht aufzuhalten. Jedem war deshalb die Sinnlosigkeit der Übung klar, vermutlich waren auch die beteiligten Soldaten nicht so recht beim militärischen Teil der Übung. Aber für sie bot der Aufenthalt in Schwarzbach die Möglichkeit, in ihrem eigentlichen Metier aktiv zu werden. Spontan beschlossen sie sich bei den Quartiergebern für die freundliche Aufnahme mit einem künstlerisch gestalteten Dorfabend zu bedanken. Und so kam es, dass auf der kleinen Bühne des Gasthofes von Herbert Kirbach im Nachbardorf Leutenhain, die sonst Laienspielern überlassen war, nun namhafte Künstler auftraten.

Gasthof Kirbach in Leutenhain (Foto: Dr. Manfred Kirbach)
Gasthof Kirbach in Leutenhain (Foto: Dr. Manfred Kirbach)

Einige Namen sind in Erinnerung geblieben:  Klingenberg, damals „der“  jugendliche Held und Tragöde vom Dresdner Schauspielhaus, Anschütz und Garbe vom Leipziger Alten Theater, der Operndirigent Hans Fritsche, ein Schauspieler namens Bodenstein, der Bühnenbildner Max Elten und der Verlagsangestellte Dietzmann aus Leipzig.

Die Künstler traten vor vollem Haus auf; nahezu alle erwachsenen Dorfbewohner hatten sich nach Leutenhain aufgemacht und lauschten am Abend den Darbietungen von schönen wertvollen Rezitationen, kleinen Sketchs  und Musikstücken und vergaßen ihre Sorgen. Und dann fiel doch der große Schatten über den gelungenen Abend: Fliegeralarm, der erste große Angriff auf Dresden hatte begonnen. Da zugleich mit dem Alarm der elektrische Strom ausfiel und damit auch das Radio als Nachrichtenquelle, wusste man zunächst nicht, welcher Stadt der Angriff galt. Aber alle ahnten es, dass es Dresden war, denn um Mitternacht sah man im Osten den  Feuerschein der brennenden Stadt, der Himmel färbte sich rot. Die Sorgen und Ängste waren mit einem Schlag wieder da, noch größer war die Unruhe, dass es die Stadt Dresden getroffen haben könnte, und diese besondere Stadt nun wohl im Feuersturm unterging. Die Soldaten, die in Dresden zu Hause waren, machten sich natürlich große Sorgen um ihre Angehörigen. Der Alarm dauerte viel länger als sonst, erst nach Mitternacht wurde er aufgehoben. Kein Wunder, dass am Tag danach die Stimmung sehr gedrückt war, die Übung wurde nicht fortgesetzt.

Am 15. Februar zog die Truppe wieder ab, den Soldaten stand nun der Kampfeinsatz bevor. Es hieß, sie würden an die Elbe verlegt. Zum Abschluss der Übung hielt der Pfarrer auf Bitten seiner Kameraden eine stille Andacht in der Kirche. Für die Dorfbewohner rückte die unheimliche Gefahr vom Osten jeden Tag näher und näher, alle sahen voller Angst dem Kriegsende entgegen. Beim Abschied sind viele schwere und schwermütige Worte gefallen.

In Schwarzbach sind dann Ende April nicht die Russen sondern die Amerikaner eingezogen, kriegerische Aktionen blieben dem Dorf, anders als den zum Kirchspiel gehörenden Dörfern Hohnbach und Möseln, erspart. Die amerikanischen Militärs richteten sich im Dorf ein und zeigten sich als verträgliche Besatzer. Sie waren froh, dass für sie der Krieg zu Ende war und als sie von den Fremdarbeiter aus Frankreich und Polen hörten, dass die Schwarzbacher Bauern sie menschlich behandelt hatten, behandelten sie nun auch ihrerseits die Dorfbewohner korrekt. Der Bürgermeister, den sie zunächst festgesetzt hatten, wurde bald wieder auf Drängen der Fremdarbeiter freigelassen. Er hatte sein Amt schon vor 1933 übernommen. Die Soldaten der „Künstlertruppe“ überlebten das Kriegsende. Der Leutenhainer Gasthof ist leider in der DDR – Zeit abgerissen worden; damit ist ein Stück Dorfgeschichte verloren gegangen, denn welches Dorfgasthaus sonst kann sich eines Auftrittes so hochrangiger Künstler auf seiner Bühne rühmen?

In jenen Februartagen fertigte der oben genannte Max Elten Bleistiftzeichnungen mit dörflichen Motiven an, von denen zwei in den Text eingefügt sind. Sie erinnern so noch heute an die bewegenden Februartage im Jahr 1945.

Der Pfarrhof, links der ehemalige Pferdestall (jetzt Garage), rechts die Toreinfahrt Bleistiftzeichnung Max Elten, Februar 1945
Der Pfarrhof, links der ehemalige Pferdestall (jetzt Garage), rechts die Toreinfahrt Bleistiftzeichnung Max Elten, Februar 1945

Verfasst von Dr. Detlev Küttler, damals achteinhalb Jahre alt.

3 Kommentare

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