Im Dorfe auf dem Ponyhof

gezeichnet von Elmira Beyer (C) Kulturspalte
gezeichnet von Elmira Beyer

Schade, dass wir heute wieder in der Stadt sind. Da haben wir leider keine Kinoleinwand auf dem Oberboden im Dorfe auf dem „Ponyhof“, sondern nur einen Computerbildschirm bei zuem Fenster ob Luftverschmutzung, Autokrach mit Straßenbahnquietschen und Zigarettenqualm der umliegenden Nachbarn. So ist halt das Leben: klein in der Stadt, groß auf dem Dorf.

„Keine Schweineställe, die riechen, nur Zigarettenqualm und Autodreck zum Fenster rein kriechen.“

Ja, so sind sie, die Menschen – Stadt, Land, Fluss und immer was zu meckern. Vielleicht sollten wir uns einfach auch mal radikalisieren, so dass Schwung in die Bude kommt oder ins Wohnzimmer der deprimierten Land-Stadt-Stadt-Land-Bevölkerung.

Jedenfalls kann das Stück „Widerstand“, ein Auftragswerk des Schauspiel Leipzig von Lukas Rietzschel, überall spielen, eben nicht nur auf dem Dorfe, wie uns der Regisseur, Enrico Lübbe, am Ende der Vorstellung erklärte.

Die Vorstellung, diesmal in Jogginghose bei Dringeblieben.de mit einem Glas Wein und HelloFresh auf dem Teller. <- Wir wohnen ja teilweise auf dem Lande, da braucht man soetwas, sonst wird es langweilig, wenn die Fahrbibliothek mal nicht kommt.

Dort freut man sich über jeden Bus, der mal um die Ecke raucht

…. oder hinter dem Schweinetransporter hinterher kriecht — oh NEIN! Das war ja gestern. Heute gibt es Kühe und alles geht automatisch, so dass es auf dem Dorf jetzt nur noch einsame Versicherungsvertreter, Paketzusteller (Achtung! HelloFresh!) und Physiotherapeuten*innen*es gibt. Denen bleibt nichts anderes übrig als sich zu radikalisieren und einen Staatsstreich zu planen, um mit Hilfe von Plastik diverse Politiker zu erschrecken. Nagut, das hört auf, wenn der Umweltschutz mal richtig greift, dann müssen sie Ihre Schießeisenattrappen aus Ökoholz schnitzen.

Aber wir sind froh, das diese Dorfbewohner nicht mit echten Knarren umherrennen, wie die in der Stadt, z.B. wie in der Stadt Halle oder solche, die in Weihnachtsmärkte fahren, wie die in der Stadt Berlin.

Gern hätte ich das Auftragswerk des Schauspiels Leipzig an Herrn Rietzschel gelesen,

aber leider habe ich es nirgends zum Kauf gefunden. Vielleicht habe ich das Stück ja völlig falsch verstanden und es ging garnicht um das triste Dorfleben in der Umgebung von Leipzig, sondern um Schwerin, Chemnitz oder gar Berlin oder um Görlitz?

Naja, Hauptsache nicht um Halle, wo wir vor etlicher Zeit (entschuldigt die Verspätung dieses Berichtes) vor dem Rechner saßen und virtuelles Theater anschauten. Ah! Danke an die „Freie Presse“, die die umliegenden Dörfchen im Regierungsbezirk Chemnitz mit Wissen von Außerhalb versorgt! So stießen wir auf das Stück „Widerstand“ im Schauspiel Leipzig, welches wir über „Dringeblieben.de“ drinnen anschauen konnten. Drinnen auf dem Dorf oder auch drinnen in der Stadt.

Das war nun virtuelles Theater

– hm – ich habe mich lange davor gescheut. Ich dachte Theater virtuell wird niemals funktionieren. Wo bleibt denn da die Atmosphäre und das Theaterfeeling und der Theatergeruch und all das andere, was ich am Theater so liebe. Ich meinte, das würde mir mein schönes in Erinnerung gebliebenes Vor-Corona-Theaterfeeling vergruseln.
Aber da die „Freie Presse“ das Stück so sehr lobte, wir dem geschriebenen Wort immer vertrauen und ich schon langsam an Entzug litt, beschloss ich endlich virtuelles Theater zu testen.

Diesmal vorher nicht traditionell Essen gehen, sondern selber Kochen mit HelloFresh <- NEIN, das ist keine Werbung, dass schreibe ich hier freiwillig und ohne irgendwelchen monetären Nutzen. Ich finde die wirklich toll!


Pünktlich die Plätze einnehmen und der Vorhang geht auf – und zack, sofort Theaterfeeling da!

OH Man*innen so ausdrucksstark die Gesichter und so nah, und die Bühne so perfekt… und die Inszenierung so genial… und schwupp die erste Diskussion im Wohnzimmer: „Warum sind die alle so gepolstert?“ Wegen des vielen Schweinefleisches von Früher? Nee Leudde, Eure Vorstellung von Dorf entspricht nicht wirklich der Wirklichkeit des dörflichen Zeitgeistes und wirkt komplett verstörend.

Diese Vorurteile waren doch auch immer für die Computerneerds reserviert – ok, seit der Big Bang Theory nun auch nicht mehr ganz so – und doch nicht der Landbevölkerung? Sicherlich auch nicht der, die sich dörflich radikalisiert. Die Radikalisierten, die man in den Medien anschauen kann, sind ja jetzt eigentlich nicht gepolstert – hm. Wenn das mit dem Radikalisieren darauf abzielen sollte. Jedenfalls habe ich das auch in der anschließenden Diskussion mit den involvierten Theaterleuten nicht wirklich geschnallt. Aber vielleicht ging das ja auch mehr um Schwerin oder so und nun doch nicht um die Gegend um Leipzig.

Oder ich bin ein bisschen blauäugig und sehe alles durch meine rosarote Brille.

Es gibt ja einschlägig beweisende Dokumentationen, die genau das wiedergeben, was der Herr Rietzschel mit seinem Stück erklären möchte. Z.B. lebe ich in einer anderen „Blase“ als z.B. im Film „#bleiben#gehen#kommen“ 1 auf YouTube dokumentiert.

Ich meine, hier, auf diesem Dorfe, wo ich gerade sitze und Tippe scheint z.B. viel öfter die Sonne:

Die Sonne scheint immernoch in Sachsen.
Die Sonne scheint immernoch in Sachsen.

Allerdings ist das auch eine ganz andere Ecke als die im YouTube Film, auf dem Busfahrplan wohl 1h weiter weg… und ich frage mich, ob „Jugendliche Perspektiven aus dem Leipziger Neuseenland“1 so depressiv dargestellt werden sollten? Wobei das Statement zu Beginn und diverse Kommentare im Film so positiv daher suggerieren.

Jedenfalls habe ich beim Anschauen dieser Jugendperspektiven sofort an „Widerstand“ gedacht… und an „kann man dem Filmdreh bitte nochmal einen zweiten Versuch geben?“

Ok, aber ja, das Theaterstück passt auf alles, ob Bergbau oder Schweine, Widerstand ist ganzheitlich – vielleicht auch nicht nur im negativem Sinne.

… und wieso kommt es einem komisch vor, wenn man nachts am Computer sitzt und tippt?!?

– also echt. Ich Naivling habe gedacht er hat am Tage soviel gearbeitet und macht nachts dann seine Abrechnung, oder Steuererklärung, oder baut an seiner Website…

Das kam zu schwach rüber, wenn damit etwas Anderes gemeint war. Gut, dass es im Gespräch danach erklärt wurde. Ich war da eben wieder voll die Naive aus der Sonnenscheinblase.
So als arbeitende Bevölkerung habe ich wieder voll gedacht: ‚Oh, der Arme macht Überstunden…‘ Naja, jedenfalls seine Tochter, die Ärztin aus Leipzig, hat das sofort geschnallt. Aber so undenkbar is das nu auch nicht bei einem Versicherungsvertreter, oder doch?

Aber das war so ziemlich das Einzige, wo ich ob der Inszenierung gestrauchelt bin. Naja, vielleicht noch das „Dein-Bier-ist-alle-Ding“, wo es doch gar nicht alle war – aber das könnte mit viel intellektuellem Nachdenken eine tiefere Sinneswandlung zu Tage fördern, die ich wiedermal nicht verstanden habe. Genau wie die, wo es doch zum Abendbrot lecker Röstschnitte mit Ei geben sollte und dann wurden daraus Schoten und Möhren mit Kartoffeln und ? – war sicherlich ein Bezug zur alten DDR Vergangenheit… also dann mit Schnitzel der früheren Schweineindustrie… ehm… bis hier hatte ich in unserem Hometheater schon 2 Glas Rotwein. Das erklärt eventuelle meine unintellektuelle Verwirrtheit. Also sowas z.B. kann einem life im Theater nicht passieren – hm.

Ok, aber hier eben eindeutig, nicht alle auf dem Dorfe essen „Hello….“, nein, ich will nicht schon wieder damit anfangen… sagen wir mal „mediterran“ oder lecker Wok.

Naja, Sushi vielleicht nicht unbedingt wegen der langen Anfahrtswege auf den unwegsamen Dorfstraßen. Jedenfalls ist man so als „Hello…“-Zuschauer doch ganz froh, dass der Jüngling vom Schweinestall zum Paketdienstleister gewechselt ist. Damit wäre die Pipeline vorerst erst mal safe.

Ok, ich weiß, alles unzumutbar für die Umwelt. Wir können ja auch alle zusammen einzeln mit unseren Noch-nicht-ganz-Steckdosenautos auf die schönen großen Supermarktparkplätze fahren und uns elbogengespitzt um das Toilettenpapier prügeln. Mit soviel Dreck können die Paketzusteller dann doch nicht mithalten.

Also die Schweinefleischvergangenheit schien alle quer durch das Stück zu beschäftigen. Das war wohl gut überlegt. So hat man am Anfang auf einen Blick erklärt bekommen was passiert war mit dem Dorf… Ort… Stadt:

Schönes Leben auf dem Dorfe zu DDR Zeiten, mit Schweinestall und so. Dann kam die Wende, der Schweinestall kam weg, gab nur noch einen modernisierten Kuhstall der stank aber keine Arbeitsplätze mehr hatte. So mussten sich alle umorientieren, wurden Versicherungsvertreter, Physiotherapeutin und Paketzusteller. Damit waren alle unzufrieden und einige radikalisierten sich deswegen und auch, weil alle wegzogen aus dem Dorfe und es einsam und depressiv wurde.

Sie schickten böse Briefe an den Staat und Teile von ihnen wurden eingesperrt weil die Anderen komplottierten. – Aha –

Aber egal, auf alle Fälle hat das für sehr viel Diskussion bei schönem Wein bis hinein in die Nacht gesorgt, wie jedes Mal nach einem schönen Theaterabend.

Empfehlenswert? Unbedingt!

Eine sehr schöne Inszenierung mit einem Stück was ziemlich dolle zündet. Vielleicht – sage ich jetzt mal ketzerisch – das war so gewollt vom Autor, „denn nur die Russen haben Vorurteile!“2

Ach ja, und die Kühe stinken nicht durchs Dorf, nur ab und zu die Felder, wo das Getreide für „Brot für die Stadt“ angebaut wird.

Die Sonne scheint in Sachsen.
….immernoch….

Eure Jana

1 – Film des Soziokulturellen Zentrums Kuhstall e.V. Großpösna in Zusammenarbeit mit der Aktionsgruppe Südraum Leipzig, IWRLeipzig auf YouTube.

2 – Fatoni in „Ich habe keine Vorurteile“